NICHT ALLES KONTROLLIEREN!
Regisseur Hans Weingartner über DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI
„Wenn die Schauspieler dich so überraschen, dass die Szene besser wird, als du dir je hättest vorstellen können – das ist das Schönste überhaupt."
Glossar
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Cadrage
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(frz. Bildeinstellung)
(12:52)
Die Cadrage bezeichnet die Positionierung des Filmgeschehens, also von Personen und Gegenständen innerhalb eines Rahmens, der identisch mit der Leinwand ist. Dieser Rahmen stellt dabei den Bildausschnitt einer Szene dar. Dabei bezieht sich die Cadrage sowohl auf technische Komponenten, z.B. die Wahl der Einstellungsgröße, als auch auf ästhetische Aspekte, wie die Gestaltung des Bildausschnittes.
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Handkamera
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Als Handkamera bezeichnet man allgemein eine Kamera, die mobil genutzt werden kann, d. h. die kein Stativ benötigt. Der Begriff meint dabei in der Film- und Videotechnik eine tragbare Film- oder Videokamera, die i. d. R. von der Schulter betrieben wird und etwa seit den 60er Jahren gezielt als Stilmittel eingesetzt wird; Die Steadicam™, auch Schwebestativ oder (nicht-lizensiert) Steadycam genannt, ist ein komplexes Halterungssystem für tragbare Film- und Fernsehkameras, das verwackelungsarme Bilder von einem frei beweglichen Kameramann ermöglicht.
(12:50)
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Kamera-Operator
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(engl. camera operator) Der Schwenker, auch Kamera-Operator genannt, bedient nach Anweisung des Regisseurs oder Chefkameramanns die Kamera. Er führt alle möglichen Bewegungen der Kamera
aus, gestaltet das Bild in Absprache mit den oben genannten und
kontrolliert sämtliche technische Parameter wie Schärfe, unerwünschte
Reflexe und störende Bildelemente.
Gerade bei amerikanischen Produktionen ist es üblich, dass der Director of Photography (engl. für Kameramann) die Kamera einzig vom Kamera-Operator bedienen lässt. (19:21)
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(engl. camera operator) Der Schwenker, auch Kamera-Operator genannt, bedient nach Anweisung des Regisseurs oder Chefkameramanns die Kamera. Er führt alle möglichen Bewegungen der Kamera
aus, gestaltet das Bild in Absprache mit den oben genannten und
kontrolliert sämtliche technische Parameter wie Schärfe, unerwünschte
Reflexe und störende Bildelemente.
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Location
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Location
Allgemeine Bezeichnung für einen Originaldrehort, d. h. einen real existierenden Drehort. Dieser kann durchaus durch Bauten verändert oder durch eine neue Farbgebung verfremdet sein.
(6:02)
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chronologisch
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Bei einem chronologischen Dreh wird die logische Abfolge der Drehbuchhandlung beibehalten. Allerdings müssen manchmal z.B. Schlusssequenzen aus wetterbedingten oder anderen Gründen vorgezogen werden, so dass die Schauspieler das Ende vor dem Mittelteil eines Filmes abdrehen. Dies ist schauspielerisch nicht ganz einfach, da die Schauspieler in ihrer Rolle und der entsprechenden Gefühlslage hin- und herspringen müssen.
(14:07)
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- Unverfilmbar
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- Filmausschnitt
- Interview mit Hans Weingartner
- Ein Puzzle entsteht
- Die Angst als Freund
- Gespielte Geschenke
- Der chronologische Dreh
- Vom Scheitern bis zum Glücksmoment
- Was zeichnet eine(n) gute(n) Regisseur(in) aus?
- Werner Herzog
- John Cassavetes
- Kino ist ...
- Gäbe es noch einen anderen Berufswunsch?
- Interview mit Hans Weingartner
- Filmausschnitt
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Unverfilmbar
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Ein Puzzle entsteht
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Die Angst als Freund
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Gespielte Geschenke
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Der chronologische Dreh
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Vom Scheitern bis zum Glücksmoment
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Was zeichnet eine(n) gute(n) Regisseur(in) aus?
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Werner Herzog
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John Cassavetes
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Kino ist ...
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Gäbe es noch einen anderen Berufswunsch?
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Interview mit Hans Weingartner
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Filmausschnitt
- Filmausschnitt
- Interview mit Hans Weingartner
Interview mit Hans Weingartner
Ein kleines Team, Partystimmung, Szenen, die gar nicht im Drehbuch stehen, Schauspieler, die ihre größten Lacher improvisieren dürfen: Ganz bewusst hat der Regisseur Hans Weingartner den Dreh seines Films DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI möglichst unkonventionell gestaltet. Es sei unheimlich anstrengend, soviel Kontrolle aufzugeben, erzählt er – aber Improvisation und befreite Kreativität könnten einem Regisseur auch die größten Glücksmomente schenken.
Die Szene
Eine einsame Almhütte in Österreich. Die Möchtegern-Revoluzzer Jan (Daniel Brühl), Jule (Julia Jentsch) und ihr Freund Peter (Stipe Erceg) haben den Top-Manager Hardenberg (Burghart Klaußner) entführt – aber Täter und Opfer kommen sich näher als gedacht. Während Peter und Hardenberg über Geld und Freiheit reden, können Jan und Jule ihre beginnende Liebe nicht länger verstecken – ein klassisches Dreiecks-Drama beginnt.
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Gibt es eine Grundidee, die dich bei einer Regiearbeit führt?
Ja, aber das ist kein Gedanke, das ist auch kein Wort, es ist ein Gefühl. Ich muss den Film als Ganzes in einem Moment irgendwie spüren können. Ich muss ein Grundgefühl für diesen Film haben. Ich kann das ganz schwer beschreiben. Es hat zu tun mit Geschwindigkeit, das hat zu tun mit Farbe, das hat zu tun mit Emotionen. Was für eine Grundemotion hat der Film? Es hat vielleicht so ein bisschen auch was mit Genre zu tun oder was für eine Art von Film es ist. Wenn ich dieses Gefühl nicht habe, dann bin ich total unsicher, und wenn ich es habe, dann hilft es, Entscheidungen zu treffen. Denn das ist ja eigentlich das tägliche Brot des Regisseurs – ich muss jeden Tag mindestens hundert Entscheidungen treffen. Das Schwierige daran ist: Jede einzelne dieser hundert Entscheidungen kann, wenn du sie falsch triffst, den Film zerstören. Das ist der Stress in dem Job. Und deswegen hilft es, so eine Art Grundgefühl zu haben für den Film.
Kannst Du dieses Gefühl beschreiben? Sieht man schon Filmfragmente vor sich?
Das ist ein Stakkato von Bildern und Klängen, man ist dann in einer visuellen Welt. Es ist so, als würde man den Film mit tausendfacher Geschwindigkeit abspielen. Das kann man nicht beschreiben.
Dann wird es irgendwann konkreter. Es entsteht eine Geschichte, es gibt Schauspieler, die Geschichte verändert sich wieder, es gibt Locations. Wie baut sich der Film auf?
Es fängt an mit einer Idee, die zu einer Geschichte wird, und daraus entsteht dann ein Drehbuch. Dann fängt man an, also wie man ein Puzzle zusammensetzt, aus ganz vielen Stücken, aber man weiß vorher noch nicht, wie das Puzzle aussieht, was für ein Bild das am Ende ergibt. Das ist der Unterschied zu einem echten Puzzle. Meine Erfahrung ist, dass das Puzzle nie so aussieht, wie man vorher dachte, dass es aussehen wird. Als ich angefangen habe, Filme zu machen, hat mich das total fertiggemacht. Ich dachte: Was ist denn das für ein Scheiß? Wieso kriege ich am Schluss nicht das, was ich wollte? Bis ich draufgekommen bin, dass man zwar immer etwas anderes kriegt, aber dass auch das, was man kriegt, schön sein kann, und man sich dann nur damit anfreunden muss. Das hat sehr viel mit Loslassen zu tun, man muss quasi von dieser fixen Vorstellung, die man von dem Film hat, wegkommen können. Man muss diesem Film sozusagen ein Eigenleben gestatten, als wäre er ein organisches Lebewesen. Man muss es wachsen lassen, aber man kann es beeinflussen, man kann es trimmen wie bei einer Hecke – nicht zu viel, nicht zu wenig, es ist wie beim Gärtnern. Ich glaube, man lernt da auch nie aus. Ich kann das in fünfzig Jahren noch nicht hundertprozentig. Ich weiß jetzt auch immer noch nicht genau, wie ich alles machen soll, wo ich die Kamera hinstellen soll, und wie ich das am besten inszeniere, welche Bilder ich für eine Szene finde. Es ist wenn man einem Kind beim Wachsen zuschaut. Man weiß auch nicht, was am Ende dabei rauskommt, aber man sollte trotzdem stolz drauf sein. Oft ist es dann erst Jahre später, dass man draufkommt, wie viel dieses Kind mit dir selbst zu tun hat – also wie viele von deinen Genen quasi in dem Film drinstecken. Ich finde es immer so lustig, wenn meine kleine Schwester einen Film von mir sieht, sagt sie immer: "Die reden ja alle wie du, Hans!” Das finde ich immer ganz geil, weil mir das natürlich nicht auffällt. So ist das irgendwie.
Regieführen heißt auch, Kontrolle aufzugeben?
Regieführen ist die Kunst des Loslassens. Der zentrale Begriff beim Regieführen und auch Schauspielen, nur aus einer anderen Richtung, ist die Angst. Als Regisseur darfst du nämlich deine Angst nicht komplett verdrängen, du musst sie dir ein Stück weit behalten. Immer wenn ich an einem Drehtag gar keine Angst habe und alles supergeil finde, dann ist das alles meistens Schrott, was wir an dem Tag gedreht haben. Ich habe eine Zeit lang gebraucht, um rauszufinden, dass diese Angst mein Freund ist und dass ich sie auch zeigen darf. Es gibt viele Regisseure, die tun so, als hätten sie alles im Griff und hätten vor nichts Angst. Das ist alles Lüge, in Wahrheit haben sie natürlich Angst. Sie geben es nur nicht zu, oder sie geben es nicht mal mehr vor sich selber zu. Aber da kommen nur Scheißfilme bei raus. Ich stehe dazu, und es ist manchmal für die Schauspieler schwierig, mit mir zu arbeiten, weil ich keine Vaterfigur bin und weil ich nicht diese beruhigende Art habe. Wie – keine Ahnung, wie damals der Vater beim Gewitter: Das ist kein Problem, die Blitze schlagen hier nicht ein, und macht euch keine Sorgen, Kinder. So bin ich halt nicht, sondern ich bin oft: Scheiße, ein Gewitter! Die Schauspieler müssen da leider mit mir durch diese Ängste durch. Ich versuche aber, schon für das Casting Schauspieler auszusuchen, bei denen ich das Gefühl habe: Die können diese Ängste durchstehen. Da habe ich inzwischen ein Gespür für, wer das kann und wer nicht. Ich brauche relativ selbstsichere Schauspieler.
Wie entwickelten sich die FETTEN JAHREN? Was war da der Ausgangspunkt?
Die Entstehung von den FETTEN JAHREN ist eine total chaotische Geschichte. Da kamen eigentlich verschiedene Stoffe zusammen. Ich wollte einen Liebesfilm machen, über ein Liebespaar, das neunzig Minuten miteinander redet. Und ich hatte eine Geschichte über drei junge Autonome, die gegen das System kämpfen, schon länger mal geschrieben: Das Thema war einfach: Wie kann man heute noch als junger Mensch politisch aktiv sein, welche Formen des Widerstands gibt es, und welche Rolle spielt Gewalt? In einem monatelangen Prozess ist das Drehbuch dann irgendwie gewachsen. Zuerst war es nur eine Dreiergruppe, die subversive Aktionen gemacht hat. Dann habe ich gesagt: Das reicht nicht, die müssen noch stärker in Konflikt mit dem Gesetz kommen, sie könnten doch einen Manager entführen. Es ist sehr schwer zu beschreiben, wie die Geschichte entstanden ist. Im Endeffekt ist es immer so, dass ich ein Grundthema habe, über das ich einen Film machen will, und das hat meistens mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Dann fließen meistens verschiedene Stoffe zusammen. Ich bin jemand, der auch ständig Stoff in der Entwicklung aufschreibt. Ich habe eine Datei auf meinem Computer, das ist “Ideen.doc”, und da sind ungefähr zweihundert Filmideen drin, und die fließen dann alle in ein Film.
Wie kann man heute Widerstand leisten gegen das System? War das die Frage, die dir schon lang auf den Nägeln brannte?
Ja, natürlich. Weil es für mich ein persönliches Problem war, dass ich mein Leben lang ein politisch denkender Mensch war, mit einem starken Gerechtigkeitssinn, und dass ich nie eine Möglichkeit gefunden habe, diesen Drang auszuleben. Ich habe als Jugendlicher Umweltschutzgruppen gegründet und habe immer fantasiert von einer Weltrevolution. Wenn wir dann groß sind und von zu Hause weggehen, dass wir alles umstürzen. Ich wollte quasi immer Teil einer Jugendbewegung sein, habe aber nie eine gefunden. Ich hatte dann eine sehr schöne Zeit in Berlin, in einem besetzten Haus, das aber brutal geräumt wurde, dieser Widerstand wurde also unerbittlich zusammengeschlagen. Insofern gab es einiges aufzuarbeiten an persönlichen Traumata. So kam dann dieses Thema zustande. Ich habe gedacht, dass sich kein Mensch dafür interessieren wird, und bin davon ausgegangen, dass der Film mit acht Kopien im Kino läuft, und das war es dann auch. Das haben auch alle anderen gedacht. Im Nachhinein denkt man ja immer, dass der Erfolg von vornherein klar war, aber so war es überhaupt nicht: Niemand hat wirklich an den Film geglaubt. Dass der Film dann so erfolgreich war, zeigt ja nur, dass er auf einen wunden Punkt oder auf ein Bedürfnis, gerade bei jungen Leuten gestoßen ist. Ich glaube ja an den natürlichen, an den biologischen Trieb zur Revolte. Ich glaube, jeder junge Mensch will erst mal das System umstürzen, will erst mal das Gegenteil von seinen Eltern machen. Das muss auch so sein, das ist auch eine gesunde gesellschaftliche Dynamik. Es bringt die Gesellschaft im Endeffekt weiter, wenn die jungen Leute kommen und alles in Frage stellen und die Alten sagen: Nee, es muss alles so bleiben. Nur so entwickelt sich die Gesellschaft weiter. Deswegen auch dieses Interesse an dem Film. Weil diese Dynamik nämlich zum Erliegen gekommen ist, weil die jungen Leute überhaupt nichts mehr haben, gegen das sie rebellieren können. Denn wer regt sich noch darüber auf, dass man lange Haare hat und kifft? Das System ist aber auch nicht mehr greifbar, leider. Es gibt keinen Adenauer mehr oder keine alten Nazis in Machtpositionen. Es ist schwieriger geworden, was zu finden, gegen das man rebellieren kann.
In diesem Film kommen verschiedene Figuren zusammen, kannst du kurz schildern, was die zusammenführt?
Die drei jungen Leute entführen diesen Topmanager auf die Berghütte, auf der es zu verschiedenen sozialen Verwicklungen kommt. Einerseits haben wir eine Dreiecksbeziehung, zwischen den beiden Männer und der Frau. Und dann ist da der Konflikt zwischen der älteren Generation in Person von Hardenberg und der jungen Generation dieser drei Revoluzzer, der noch dadurch, sagen wir mal, pointiert wird, dass der Manager sich als Alt-68er herausstellt, der früher selber rebelliert und jetzt seine Ideale verraten hat. Das Neuartige an dem Film – oder das, was so viele Leute überrascht und begeistert hat – ist, dass es nicht zu einem brutalen Ausbruch kommt, wie das normalerweise im deutschen Film eigentlich immer so ist, sondern dass diese zwei Gruppen in dieser Almhüttenromantik zueinanderfinden und sich so etwas wie anfreunden. Sie kiffen gemeinsam und entdecken ideologische Gemeinsamkeiten. Aber am Ende weiß der Zuschauer nicht genau, ob der Manager den Eklat vielleicht manipulativ herbeiführt oder nicht. Das haben wir auch bewusst offen gelassen. Die Idee war auch, dass der Manager über die drei Jugendlichen in sein altes Ich zurückfindet und für einen Moment wieder dieses Glück der Jugend verspürt, dieses Glück des einfachen, unangepassten Lebens. Am Ende wird diese Vision wieder zerstört, weil ich nicht wollte, dass der Zuschauer mit einem Happy-End-Gefühl aus dem Kino geht. Denn ich glaube, dass die Wirklichkeit so eben nicht aussieht. Das hat alles so unglaublich gut funktioniert, noch viel besser, als wir das zu träumen wagten aufgrund des Drehbuchs. Das Tolle war, dass der Burghart Klaußner diesen Manager so genial gespielt hat und diese Rolle so hundertprozentig ausfüllt, weil sie wiederum seine eigene Geschichte widergespiegelt hat. Burghart war auch ein 68er-Revoluzzer, der hat damals in ganz Deutschland Theater gestürmt und Anti-Theater gemacht und was weiß ich. Er ist kein Topmanager, aber doch relativ etabliert mit Familie und so weiter. Und auch Burghart ist auf der Alm – weil ich so drauf bestanden hab, das chronologisch zu drehen – wieder in sein altes Ich zurückgefallen und hat mit uns zusammen gekifft und war total glücklich da oben. Ich finde, das spürt man auch, wenn man den Film sieht, das Wahrheit darin steckt.
Das hätte natürlich leicht in die übliche Richtung gehen können: Man verhandelt große Ideen, und jeder steht für irgendwas, aber am Ende fängt das nicht zu leben an, die Konstellation bleibt theoretisch.
Ich glaube, der entscheidende Faktor, ist der menschliche Faktor. Wenn Ideologien aufeinanderprallen, führt das nur dann zur Katastrophe, wenn die Menschen ihre Menschlichkeit ablegen, wenn sie zum Beispiel ihren Humor verlieren. In dem Film, in dieser Abgeschlossenheit der Alm, sitzen sie so eng aufeinander, dass sie sich einfach als Menschen behandeln müssen. Dadurch finden sie heraus, dass sie im Prinzip dasselbe wollen und dass sie nur verschiedene ideologische Ansätze vertreten. Ich glaube, die Berge spielen eine extrem wichtige Rolle. Diese Location hat einen extrem großen Einfluss auf den Film. Ich glaube, dass Location und Ort überhaupt viel größeren Einfluss haben, als die meisten Menschen wissen. Bei mir war es so, ich bin sehr viel in den Bergen unterwegs, und dadurch hatte ich beim Schreiben schon dieses Hüttengefühl. Ich wusste: Wenn du zusammen auf der Hütte sitzt, dann näherst du dich automatisch an. Nicht nur, weil es ein enger Raum ist, sondern weil die Hütte ein Universum für sich ist, weil du quasi über den Wolken schwebst. Dadurch hast du diese Distanz zum Alltag, und die Hütte wird automatisch ein philosophischer Raum. In einem philosophischen Raum finden solche Auseinandersetzungen anders statt, weil sie ohne Angst stattfinden. Weil es nicht konkret um Verteilung von irgendwelchen Gütern geht, sondern nur erst mal um Theorien. Das hat alles zusammengespielt, dass wir irgendwann beim Schreiben das Gefühl hatten: Okay, die bringen sich jetzt nicht gegenseitig um. Ich bin mir sicher, wenn wir den Hardenberg auf eine Datsche hier irgendwo in Spandau entführt hätten, dann hätte das blutig geendet. Dass wäre einfach nicht weit genug weg gewesen von der Gesellschaft, vom Alltag, von diesen ganzen Symbolen und Zusammenhängen. Deswegen ist die Reise auch so beliebt in Filmen. Die Reise führt den Helden immer an Orte, an denen er ein Abenteuer besteht und wo er die Welt anders sieht als in der Heimat. Und das ist ja in allen meinen Filmen bis jetzt so gewesen. Also DAS WEISSE RAUSCHEN war auch ein Reisefilm, und zwar eine Reise in den Wahnsinn.
Was muss man als Regisseur machen, um dieses Hüttengefühl am Set zu erzeugen?
Meine ursprüngliche Idee war, dass wir alle zusammen auf der Alm wohnen sollten. Das ging aber nicht, weil die Alm zu klein war. Was ich dann durchgesetzt habe, ist, dass wir alle zusammen in einem Hotel gewohnt haben. Das ganze Team war auf der Alm die gesamte Drehzeit sehr eng zusammen. Ich habe versucht – ich versuch das übrigens immer bei meinen Filmen –, das Gefühl zu erzeugen, dass wir eigentlich keinen Film drehen. Das funktioniert über flache Hierarchien mit einem kleinen Team und wenn du den Dingen ihre Brisanz und Wichtigkeit nimmst. Dann bauen alle Beteiligten Druck ab, und das führt zum Erblühen der Kreativität. Diese Atmosphäre herzustellen ist für mich als Regisseur extrem anstrengend, weil ich mich eigentlich nie entspanne. Alle anderen sind locker, aber ich bin immer angespannt und konzentriert und muss mich total zusammenreißen, dass ich die Leute nicht anschreie und nicht einen Anfall kriege, weil so viel Chaos herrscht, was durch die entspannte Atmosphäre entsteht. Die Leute am Set sollen auch gar nicht merken, dass ich versuche, quasi eine Party zu veranstalten. Bei meinem letzten Film FREE RAINER, da ging das z.B. überhaupt nicht, weil wir a) nicht chronologisch gedreht haben und b) ein Team von fünfzig Leuten hatten. Der Dreh war für mich wie Urlaub. Ich war jeden Tag um acht Uhr abends im Hotel, ich hatte einen Regieassistenten und einen Aufnahmeleiter, die haben sich um alles gekümmert und es gab strenge Zeitpläne. Das führt aber schon dazu, dass man beim Dreh nicht so sehr in dem Film drin ist. Der Film funktioniert trotzdem, ja, aber es ist für mich ein anderes Erlebnis, den Film zu sehen. Er ist viel handwerklicher. Wenn ich jetzt DIE FETTEN JAHRE oder DAS WEISSE RAUSCHEN gucke, dann versetzt mich das wieder in die Zeit zurück, als wir die Filme gedreht haben.
Du sagtest, dass Ihr auch improvisiert habt. Kannst du dich erinnern, ob es auf der Alm "unvorhergesehene Geschenke" gab, die dir die Schauspieler gemacht haben?
Ja, natürlich, das gibt es immer wieder bei dieser Art des Arbeitens, wenn man die Dialoge nicht vollständig ausschreibt, Szenen neu erfindet oder neu improvisiert. Das mache ich vor allem wenn ich merke: Die Szene funktioniert nicht hundertprozentig, wie sie im Drehbuch steht. Dann sag ich: Okay, vergesst das alles! Was wollen wir erzählen? Jetzt improvisieren wir einfach mal. Meistens kann man das nicht verwenden, weil es viel zu lang ist. Man nimmt dann das Beste daraus und komprimiert das, was man improvisiert hat, und macht eine neue Szene draus. Da gibt es die wunderbarsten Geschenke – aber ich kann mich jetzt an keines mehr erinnern von den FETTEN JAHREN, weil das schon zu lange her ist. Man weiß dann irgendwann nicht mehr: Was stand jetzt im Drehbuch, und was haben wir uns ausgedacht? Es war jetzt nicht so wahnsinnig viel. Ich versuche in diesem Film grundsätzlich das Gefühl zu erzeugen, als wäre alles improvisiert – das ist ja Absicht. Das ist ja diese ganze Ästhetik des Films, mit dieser Handkamera, mit dieser nicht perfekten Cadrage, und dass die Kamera manchmal den Leuten hinterherläuft, so als wüsste sie jetzt gar nicht, dass der Schauspieler jetzt da rüberläuft. Sie ist so ein bisschen zu spät dran, der BLAIR WITCH PROJECT-Effekt, das ist ja alles gewollt.
Nicht einmal eine Szene?
Ich kann mich erinnern, dass ich Burghart gesagt habe, er soll einfach mal aus seinen WG-Zeiten erzählen und dann kommt ihr irgendwie auf Liebe zu sprechen, die freie Liebe, und dann macht Burghart so eine Bemerkung: “Von wegen, ihr wisst ja schon, wovon ich rede.“ Das stand nicht im Drehbuch, die Idee hatte ich in dem Moment. Und das Geniale war, dass Burghart dann aus seinen echten WG-Zeiten erzählt hat. Ich finde, das spürt man auch, dass das echt war.
Gibt es etwas in DIE FETTEN JAHRE, worauf du besonders stolz bist? Wovon du sagst: Das ist absolut gelungen!
Da muss ich jetzt überlegen. Ich habe den Film schon ewig mehr gesehen. Ich finde meine Filme eigentlich auch immer erst mal Scheiße. Ich brauche sehr lange, bis ich sie dann auch wirklich cool finde. Ich finde diesen Moment großartig, wo Peter herausfindet, dass Jule und Jan was miteinander haben. Er rennt dann aus der Hütte, und Jule rennt ihm nach. Das war ein extrem schwieriger Moment, wo wir nicht wussten, ob das überhaupt funktionieren kann, dass sie nicht wie die absolute Schlampe rüberkommt und dass die Leute sie nicht hassen, weil sie ihren Freund betrogen hat mit seinem besten Freund. Sie hat also eines der allerschlimmsten Tabus überhaupt gebrochen. Ich weiß noch, wir haben ständig darüber geredet. Irgendwann sind wir draufgekommen: Sie liebt beide halt wirklich, und sie kann nichts dafür. Was soll sie machen? Sie hat sich halt verliebt! Diese Szene hatten wir auch im Casting, aber sie hat eigentlich nie funktioniert. Ich dachte immer: Das wird nicht funktionieren, der Film wird daran scheitern. Ich habe bei dieser Szene selbst Kamera gemacht und kann mich noch erinnern, wie ich hinter Julia [Jentsch, Anm. d. Red.] hergelaufen bin und wie sie Peter dann so aufhält und anguckt und dann sagt: Ich habe mich verliebt. Das war ein unglaublicher Glücksmoment für mich als Regisseur, weil ich gesehen habe: Es geht, sie hat es geschafft. Und der Zuschauer verzeiht ihr das jetzt, weil er merkt, sie hat sich wirklich verliebt. Julia hat das so unglaublich geil gespielt, und jedes Mal, wenn ich die Szene jetzt noch sehe, spüre ich quasi diesen Glücksmoment wieder. So wie wenn du dir Urlaubsfotos anguckst von schönen Momenten. Wenn die Schauspieler dich so überraschen, dass die Szene besser wird, als du dir je hättest vorstellen können – das ist das Schönste überhaupt.
Das gelingt sicher nicht mit jedem Schauspieler.
Man braucht Schauspieler, die sich auf meinen Arbeitsstil einlassen. Die meisten Schauspieler, wenn sie kommen und bei mir drehen, sind erst mal so: Was ist denn hier los? Dann gehen sie zu den anderen Schauspielern, die schon angedreht sind, und sagen: Sag mal, ist das immer so? Und die sagen: Normalerweise noch viel schlimmer! Aber wenn sie sich daran gewöhnt haben, sind die total glücklich und wollen immer wieder mit mir drehen. Aber es ist ja nicht nur bei mir so. Ich habe mit Michael Winterbottom geredet, der hat gerade mit Angelina Jolie gedreht, und ich habe zu ihm gesagt: ”Wie hat die denn reagiert?” Er ist ja dafür bekannt ist, dass er stundenlang Improvisationen macht, bis die Schauspieler irgendwann gar nicht mehr wissen, ob sie gerade gefilmt werden. Und er hat gesagt: ”Du, sie hat das geliebt, die wollt gar nicht mehr aufhören damit.”
Könntest du in zwei Sätzen zusammenfassen, was einen guten Regisseur auszeichnet?
Da kann man nur so platte Sachen sagen. Einen guten Regisseur zeichnet auf jeden Fall aus, dass er seine Ängste und Zweifel nicht völlig verdrängt, sondern sich ihnen stellt, erstens. Zweitens, dass er nicht ständig versucht, alles hundertprozentig zu kontrollieren, Dinge auch laufen lässt. Und drittens, dass er einen gewissen Grad an Besessenheit hat, eine Manie. Und er muss ein extremes Durchhaltevermögen haben. Ich habe gerade Volker Schlöndorff getroffen und er erzählte: Er läuft jetzt Marathon seit zehn Jahren, und erst seitdem er das macht, weiß er eigentlich, wie viel Marathonlaufen mit Filmemachen zu tun hat. Da sagte ich zu ihm: Hey, weißt du was? Ich war in der Schule der Schlechteste auf der Kurzstrecke, aber ich war der zweitbeste Langstreckenläufer von der ganzen Schule.
Gibt es aus dem deutschen Film eine Leistung von anderen Regisseuren, die dich sehr beeindruckt hat?
Was mich auf jeden Fall sehr geprägt und beeindruckt hat, waren die Werner-Herzog-Filme, die Intensität und seine Auseinandersetzung mit der Natur und seine Besessenheit. Und dass er sich immer wieder mit den extremen Außenseitern und gestörten Menschen beschäftigt hat. Das mag ich sehr und das hat mich sehr bewegt, weil ich dasselbe mache. In jüngster Zeit hat mich GEGEN DIE WAND am meisten beeindruckt, weil ich da viele Elemente wiedergefunden habe, die ich liebe. Z.B. dieses rotzige Drehen, einfach Scheißen auf die Ausleuchtung, auf die Requisite, auf Anschlussfehler, und dann die ganze Energie, die er reinsteckt, und dass er zu seinen Emotionen steht, dass er sich traut, Extreme auszuloten – das fand ich super.
Und international?
Ich glaube, mein größter Einfluss war sicher John Cassavetes und seine Filme. Seine Art, mit Schauspielern zu arbeiten, war revolutionär. Er ist wahrscheinlich der einflussreichste amerikanische Regisseur überhaupt, was die Schauspielarbeit betrifft, obwohl er damals ja überhaupt nicht anerkannt war. Seine Filme haben immer total schlechte Kritiken bekommen und bis auf einen Film auch schlechte Besucherzahlen. Ich mag aber auch dieses Abgründige bei Abel Ferrara sehr gern.
Ein Satz, was Kino für dich bedeutet. Kino ist ...
Kino zu machen ist für mich etwas ganz anderes, als selber ins Kino zu gehen. Ins Kino zu gehen ist etwas, was mir Trost spendet, was mich glücklich macht. Kino zu machen ist etwas, was mich eigentlich eher quält und dafür aber phasenweise extrem glücklich macht.
Wenn du nicht Regisseur geworden wärest, könntest du dir noch einen anderen Beruf vorstellen?
Beim Film wäre ich Kameramann geworden. Ich liebe es auch, selber Kamera zu machen, also so vorn zu operaten [die Kamera zu führen], mir liegt Lichtmachen nicht so. Und ansonsten wäre ich Arzt geworden oder halt Neurologe, ein Forscher im neurologischen Bereich. Hat auch viel miteinander zu tun natürlich, Kino und Medizin.
Das Interview führte Tobias Kniebe.
Hans Weingartner, geboren am 2. November 1970 in Feldkirch/Österreich, studiert von zunächst Physik, Gehirnforschung und Neurochirurgie in Wien und Berlin. Parallel dazu absolviert er 1993/94 ein Ausbildung zum Kameraassistenten in Wien. 1997 nimmt Weingartner das Regiestudium an der Kölner Kunsthochschule für Medien auf, das er 2001 mit dem Drama DAS WEISSE RAUSCHEN abschließt. Von der Kritik hoch gelobt, gewinnt der Film mehrere Preise, darunter den "Max Ophüls Preis 2001", den Preis des Verbandes der Filmkritik als Bestes Spielfilmdebüt und den First Steps Award 2001. Hauptdarsteller Daniel Brühl avanciert durch seine intensive Verkörperung eines Schizophrenie-Kranken über Nacht zu einem der gefragtesten Darsteller des deutschen Kinos.
Weingartners zweiter Film DIE FETTEN JAHRE SIND VORBEI wird 2004 in den Wettbewerb von Cannes eingeladen – es ist nach elf Jahren das erste Mal, dass wieder ein deutschsprachiger Film im Wettbewerb der Filmfestspiele zu sehen ist. Der Film entwickelt sich vom Tag seiner Uraufführung an zu einem überragenden Erfolg bei Kritik und Publikum. Er gewinnt zahllose Filmpreise, reist von Festival zu Festival, lockt allein in Deutschland rund eine Million Zuschauer in die Kinos und wird in über 50 Länder verkauft.
Die Mediensatire FREE RAINER – DEIN FERNSEHER LÜGT, feierte im September 2007 beim Filmfestival im spanischen San Sebastian Weltpremiere.
Nach einem Beitrag zu dem Omnibusfilm DEUTSCHLAND '09 – 13 KURZE FILME ZUR LAGE DER NATION, der bei der Berlinale 2009 Premiere feierte, startete 2012 sein nächster abendfüllenden Kinofilm: DIE SUMME MEINER EINZELNEN TEILE. Das Drama über einen psychisch labilen Mathematiker und seine seltsame Freundschaft zu einem russischen Jungen, wurde beim Max Ophüls Preis 2012 uraufgeführt.
© filmportal.de
Hans Weingartner
2013 | Ummah - Unter Freunden Produzent |
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