Jeder Film eine Entdeckung
Wie Thomas Heise Vertrauen zu seinen Helden aufbaut ohne die nötige Distanz zu verlieren.
„Am Ende eines Films weiß man mehr über die Leute, die man porträtiert hat, als die über sich selbst.
Es ist meine Verantwortung zu entscheiden, was öffentlich gemacht wird und was nicht.”
Glossar
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porträtieren
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Das „Porträtieren“ einer bestimmten Person oder eines bestimmten Charakters im Film bezeichnet das Herausarbeiten dessen persönlicher Eigenschaften, Verhaltensweise, Eigentümlichkeiten, Erscheinungsbild, etc. desselben. Dieser Prozess obliegt meist der Arbeit des Regisseurs, sowie der Interpretation des Schauspielers, wobei darüber hinaus die Lichtsetzung und die Kameraführung zusätzlich erheblichen Einfluss in der Porträtierung eines Charakters haben können.
(7:43)
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Dokumentarfilm
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Der Dokumentarfilm ist eine eigene Film-Gattung mit einer langen Tradition. Charakterisiert wird der Dokumentarfilm mit all seinen Subgenres grundsätzlich dadurch, dass in diesen Filmen eine ästhetische Repräsentation eines von dem/der FilmemacherIn bewusst gewählten Ausschnitts der Wirklichkeit stattfindet. Der Autor / die Autorin erzählt von einer realen Person und ihrem Schicksal, einem tatsächlichen Ereignis, verdichtet dies aber mit den ihr oder ihm zur Verfügung stehenden und dem Thema adäquaten filmkünstlerischen Mitteln. Dabei folgt der künstlerische Prozess (durch die FilmemacherIn) den Konventionen des sich für den dokumentarischen Film herausgebildeten Systems, das zwar durch die Jahrzehnte (wie die Sprache auch) Veränderungen unterworfen ist, aber durchaus Basisregeln herausgebildet hat. Diese beinhalten, dass im Dokumentarfilme Thema und Struktur in Beziehung gesetzt werden und sich daraus der Form der Narration ableitet. Der Dokumentarfilm wird in der Gestaltung eher über Assoziationsketten (als über Plot und Story) strukturiert, die durch Rhythmus und Argument bestimmt werden, also überwiegend im Sinne einer dramaturgisch offenen Form erzählt, wobei dem Filmbild eine besondere Bedeutung zukommt.
(11:35)
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Investigativ
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Ein „investigativer“ Zugang zu einem Thema (oder auch einem Film) versteht sich als Zugang, der auf umfassender Recherche/ Nachforschung basiert.
(12:40)
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Tonmeister*in
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Der/ die Tonmeister*in ist am Set für die Aufnahmen am Set und am Drehort entstehenden Geräusche verantwortlich. Er weist den Regisseur*in auf evtl. tonliche Probleme bei der Inszenierung hin und schlägt Alternativen vor.
Der/ Die Tonmeister*in arbeitet eng mit anderen Departments zusammen.
Er/Sie bespricht sich mit dem Szenenbildner*in über evtl. Verbesserung der Raumakustik und Beseitigung von Störgeräuschen wie z.B. knarzenden Fußboden oder um Raumreflektionen zu minimieren über Teppiche oder Vorhänge, die im Szenenbild mit integriert werden können.
Mit dem Kostümbildner*in über die Kostüme, welche Stoffe werden verwendet und evtl. Vorbereitungen zum Einbau der Lavaliermikrofone und den dazugehörigen Sendern.
Mit dem Kameramann bespricht er die Auflösung der Szenen und deren Umsetzung.
Des Weiteren sollte er/ sie eine gute Kommunikation mit dem Schneideraum und der Ton Postproduktion etablieren.
(13:32)
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Tonangel
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→ Angel
Mit der Tonangel wird der Ton der Darsteller von oben aufgezeichnet, damit der Tonmann nicht im Bild erscheint. Am anderen Ende der Tonangel ist das Mikrofon befestigt. Eine Tonangel besteht meistens aus dem leichten Stoff Karbon, weil der Tonmann für jede Aufnahme, in der gesprochen wird, die Tonangel halten muss.
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DEFA
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(Deutsche Film-AG). Deutsche Filmproduktionsgesellschaft, 1946 gegründet unter der Erlaubnis der Sowjetischen Besatzungsmacht. Bis 1991 produzierte die DEFA rund 800 Filme (darunter Spiel-, Fernseh-, Animations-, und Dokumentarfilme). Heute ist das Gelände unter dem Namen Studio Babelsberg AG in Betrieb.
(15:08)
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Recherche
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(engl. research) „professionelle“ Suche nach Informationen. Ein Drehbuch wird um so authentischer, je mehr sein Autor über die Zeit, das Millieu und die Charaktere weiß, über die er schreiben will. Doch nicht nur ein Drehbuchautor recherchiert. Jedes Gewerk recherchiert die speziellen Informationen, die es zur Erfüllung seiner Aufgabe braucht.
(15:32)
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Redakteur
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Fernsehsender beteiligen sich finanziell an Kinofilmproduktionen um dafür im Gegenzug Ausstrahlungsrechte zu erhalten und den Film später im Fernsehen zeigen zu können. Die inhaltliche Entscheidung, welche Filmprojekte ausgewählt werden und eine finanzielle Beteiligung erhalten, trifft die Redaktion (als Abteilung), bzw. deren Mitarbeiter/innen, die Redakteure.
Neben der Entscheidung über die Beteiligung an sich begleitet die/der Redakteur/in zumeist die Drehbuchentwicklung und gestaltet diese aktiv mit. Sie/Er ist dabei als dramaturgischer Berater/in tätig, vertritt aber auch das jeweilige Interesse des Fernsehsenders, z.B. in Bezug auf den Geschmack der Fernsehzuschauer.
In Deutschland kann der größte Teil der Kinofilmproduktionen überhaupt nur dann entstehen, wenn ein Fernsehsender sich finanziell beteiligt. Damit haben die Sender unmittelbaren Einfluss darauf, welche Art von Filmen in Deutschland produziert wird. Diese Tatsache, gekoppelt mit dem o.g. aktiven Einfluss der/des Redakteurin/s auf die Drehbuchentwicklung, führt immer wieder zu Diskussionen über Vor- oder Nachteile des in Deutschland üblichen Systems, in dem sich Fernsehsender an Kinofilmen beteiligen. Diese Diskussion ist häufig direkt mit der Arbeit der/des Redakteurin/s verbunden.
(15:42)
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Produzent
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Vergleiche zu diesem Begriff die Erläuterungen unter 'Filmproduzent'.
(22:41)
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Filmteam
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Alle Filmschaffende, die im Rahmen einer Filmproduktion vor, während oder nach dem Dreh mit kreativen oder organisatorischen Aufgaben betreut sind.
(23:42)
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Tonfrau/-mann
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Dieser Begriff wird meist im dokumentarischen Film und in der Berichterstattung gebraucht.
In diesen Genres muß die Tonmeisterin/ der Tonmeister selbst die Tonangel führen und beherrschen sowie die Pegel, die Situation und die Qualität beurteilen.
Man sollte künstlerisch wie auch technisch versiert sein, um kleine Reparaturen selbst durchführen zu können.
(23:54)
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- Filmausschnitt
- Interview mit Thomas Heise
- erste Begegnung
- Distanz halten
- Vertrauen
- Verantwortung
- unsichtbare Nähe
- im Versteck besuchen
- um Kopf und Kragen
- Klassenkampf
- die Protagonisten sind...
- Film als Entdeckung
- der Impuls zu suchen
- Was zeichnet einen guten Dokumentarfilmer aus?
- Was ist die richtige Ausbildung für diesen Beruf?
- aller Anfang ist schwer
- die Filmpartner
- Was ist Kino?
- Gibt es noch einen anderen Berufswunsch?
- Filmausschnitt
- Interview mit Thomas Heise
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erste Begegnung
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Distanz halten
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Vertrauen
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Verantwortung
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unsichtbare Nähe
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im Versteck besuchen
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um Kopf und Kragen
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Klassenkampf
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die Protagonisten sind...
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Film als Entdeckung
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der Impuls zu suchen
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Was zeichnet einen guten Dokumentarfilmer aus?
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Was ist die richtige Ausbildung für diesen Beruf?
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aller Anfang ist schwer
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die Filmpartner
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Was ist Kino?
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Gibt es noch einen anderen Berufswunsch?
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Filmausschnitt
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Interview mit Thomas Heise
- Filmausschnitt
- Interview mit Thomas Heise
Interview mit Thomas Heise
Er ist ein Archäologe der geschichtlichen Verwerfungen. Nachdrücklich dementiert er das Versprechen auf „blühende Landschaften“, mit dem Helmut Kohl zum „Kanzler der Einheit“ wurde. Seine Bilder der neuen Bundesländer besitzen keine lyrische Aura. In langen Kamerafahrten zeigt er den Verfall von Städten, Landschaften und Seelen. Der Titel seines Regiedebüts aus dem Jahr 1980 ist kein schlechtes Motto für das gesamte Schaffen dieses außergewöhnlichen Dokumentarfilmers: WOZU DENN ÜBER DIESE LEUTE EINEN FILM? Thomas Heise interessiert sich für Menschen, die sonst nicht im Fokus des Kinos stehen. Er besitzt das einzigartige Talent, sie zu öffnen und zum Sprechen zu bringen. KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT führt vor, dass dies keine Frage von Beharrlichkeit ist. Heise versteht es, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die sich vom Verlauf der Geschichte betrogen fühlen.
Die Szene
Thomas Heise besucht seine Protagonistin Jeanette in ihrer Wohnung. Sie spricht über ihr Leben, ihre Träume und Wünsche und über ihre beiden Söhnen Tommy und Paul, die sehr unterschiedliche Charaktere sind.
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Wir sprechen heute erst einmal über eine Szene aus KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT. In welchem Kontext steht diese Szene? Was bedeutet sie für den Film?
Zunächst mal, der Film heißt KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT. Was etwas anderes ist als ‚Kinder, wie die Zeit vergeht!‘ Das meint nicht diese Floskel. Es sind zwei Sätze. Es ist jeweils ein Punkt danach. Das ist das Eine. Das Zweite ist, der Film ist der dritte von drei Filmen, die ich in Halle-Neustadt gedreht habe, bzw. in Sachsen-Anhalt. Es geht um eine Familie, die ich ursprünglich in Halle-Neustadt kennengelernt habe mit sieben Kindern, die ich 1992 angefangen habe zu porträtieren. Das war damals der Film STAU – JETZT GEHT’S LOS! Ein Gruppenporträt von rechten Jugendlichen, die ich dort besucht habe und mich da um die Familie gekümmert habe. Und geguckt habe, wo kommen die her? Weil ich die kennenlernen wollte. Ich wusste von Neonazis nicht sehr viel – außer, dass es sie gibt. Ich habe ich mich mit denen unterhalten und dabei bin ich bei einem dieser Jungen – waren das ja im Wesentlichen – zuhause gewesen und habe dort diese Großfamilie kennengelernt. Und bei der bin ich dann eigentlich geblieben und habe dann acht Jahre später geguckt, was daraus geworden ist. Dabei habe ich dann Jeanette kennengelernt. Und aus der Zeit, 1999, stammt auch das Material, mit dem der Film KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT. beginnt. Das war mein erstes Gespräch mit ihr. Es war so, dass sie zuhause ausgezogen war, eigentlich keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern hatte. Die Eltern hatten auch keinen Kontakt zu ihr. Sie wussten nicht einmal, wo sie wohnt. Und Peter Badel, der Kameramann, und ich sind durch Halle-Neustadt, durch die Hochhäuser gelaufen und haben geguckt, wo könnte sie sein? Wir wussten bloß ungefähr so die Gegend. Es war nicht einfach sie zu finden, weil an den Briefkästen und Türen keine Namensschilder waren. Das Einzige, was ich wusste, war, dass sie dort frisch eingezogen ist. Ich bin durch die Hausflure gegangen und in einem habe ich dann auch ein paar Umzugskartons entdeckt – und da war es dann auch. Sie hat die Tür aufgemacht, wir haben uns bloß kurz verabredet für den nächsten Abend, hatten nichts vorbesprochen. Und dann haben wir schon am nächsten Tag angefangen zu drehen. Und das, was in dem Film ist, ist praktisch fast 100% des Materials. Also es ist eigentlich nicht geschnitten, es ist wirklich nahezu 1:1. Und das war schon sehr merkwürdig, weil ich sie nicht wirklich kannte und wir nichts vorher besprochen hatten. Sie wusste, aus den vorherigen Filmen, was ich mache und dass ihre Familie mich kennt. Das ist eigentlich alles. Ich hatte sie nur ein Mal vorher gesehen. Das war, als ich mal ihre Eltern besucht habe, die inzwischen in so einer kleinen Reihenhaussiedlung wohnten. Die hatten es geschafft aus dem Neubaublock von Halle-Neustadt in ein Reihenhäuschen zu ziehen. Das Reihenhäuschen ist auf einer Flutwiese der Saale errichtet worden, der Bauherr ging Pleite und seitdem wohnen da also eine Menge Leute. Und manchmal steht das Wasser bis zum Fenster hoch. Es ist Flutwiesenland, was zu Bauland umgewidmet wurde. Da wohnten also die Eltern und hatten sich den Traum vom Häuschen erfüllt. Und da kam sie damals mit ihren Kindern an, weil sie wieder einmal vor ihrem Mann geflüchtet war und hat sozusagen Zuflucht bei den Eltern gesucht. Und ich hatte die Eltern gerade verlassen und sie kam gerade an. Ich habe sie gegrüßt und was mir aufgefallen ist und woran ich mich erinnere, ist, dass ihr Sohn – der spätere Held von KINDER: WIE DIE ZEIT VERGEHT. – wie der mich mit einem solchen hasserfüllten Blick angeguckt hat. Also diesen fremden Mann, der da seine Mutter grüßt. Und das hatte ich mir gemerkt. Nun saßen wir also in dieser Wohnung bei ihr, in diesem Neubaublock, der sehr schlicht eingerichtet war. Die Möbel waren vom Sozialamt, alles eigentlich, was da war. Sie hatte praktisch nichts. Die Kinder schliefen, man musste leise sein. Und wir haben versucht, uns sozusagen zu verständigen. Sie hat erzählt, was sie erzählen wollte. Das ist die Szene.
Sie haben gesagt, es sei praktisch zu 100% umgesetzt worden.
Sagen wir 90%.
Es gibt so gewisse Interventionen. Es gibt z.B. mal ein Schwarzbild.
Ja, klar. Ja, es gibt ein paar kleine Schnitte. Aber es ist wirklich fast alles drin.
Wie ist es Ihnen gelungen, dass sie so offen spricht, obwohl sie sich nicht gut kannten? Dass sie so vertrauensvoll in die Kamera spricht?
Naja, das kann man ja nicht herstellen. Es hat vielleicht damit zu tun – zumindest war das mein Eindruck –, dass bei diesem Gespräch es so war, dass wir, das Team… – das bin ich ja nicht alleine, wir waren zu Dritt in dem Raum – dass sie das Gefühl hatte, dass wir ihr zuhören. Dass wir nicht nur einfach irgendwas wissen wollen, sondern dass wir mit ihr drehen, weil wir ein persönliches Interesse an ihr haben.
Und zusätzlich glaube ich auch, dass es damit zusammenhing – zumindest nach dem, was ich dann erfahren habe – dass die Männer, die sie vorher kennengelernt hatte, eigentlich etwas anderes wollten. Die wollten ihr nicht zuhören, die wollten eher mit ihr ins Bett. Das war neu für sie. Und das dürfte eine Rolle gespielt haben. Das war auf eine ganz merkwürdig Weise sehr einfach. Wir haben angefangen und es ging los und es hörte eigentlich nicht mehr so richtig auf.
Also hat es sich durch die Konstellation hergestellt?
Naja, was heißt durch die Konstellation? Sie wusste ja durch ihre Eltern, wer ich bin. Aber wir hatten nicht vorher miteinander geredet. Als ich 1992 gedreht habe in Halle, hatte sie gerade einen neuen Freund und war verschwunden. Und der Tommy lag als kleines Baby in der Wiege in dem Zimmer, in dem ich mit den Eltern geredet habe. Und ihrem Bruder. Ich habe sie damals also nicht kennengelernt. Aber sie wusste natürlich von den Dreharbeiten und der Film hatte ja seiner Zeit medial einigermaßen Wirbel ausgelöst – es gab ja Demonstrationen gegen den Film. Das war sogar ziemlich heftig. Und von daher war ihr das schon geläufig, was ich wahrscheinlich von ihr will oder worum es geht.
Und mir ging es eben darum, dieses merkwürdige Leben in Halle-Neustadt, auch den Zustand, in dem sich die Leute dort oder ein Großteil der Leute dort befinden, anhand dieser Familie zu beschreiben. Und das war die ganze Geschichte.
Man sagt ja häufig, dass die Langzeitbeobachtung das Lieblingsgenre des Dokumentarfilms in Deutschland sei. Was bedeutet es für den Dokumentarfilmer, wenn er an Orte und zu Menschen zurückkehrt und sie im Laufe der Jahre immer wieder portraitiert und somit eine Verbindung hält?
Bei mir ist die Verbindung nicht gehalten. Wir haben es bewusst so gemacht, dass ich in der Zeit zwischen den Filmen – es gibt ja diese drei inzwischen, also STAU – JETZT GEHT’S LOS!, NEUSTADT STAU – DER STAND DER DINGE und KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT. Und dazwischen liegen immer sieben oder acht Jahre. Und in der Zwischenzeit habe ich die Familie nicht besucht und hatte auch keinen Kontakt, wir haben auch nicht telefoniert oder Briefe geschrieben. Sondern ich bin überraschend dort wieder angetreten und habe gesagt, ich würde jetzt wieder drehen wollen. Und das hat dann nach einem längeren Gespräch auch dazu geführt, dass ich drehen konnte. Und das war auch sehr schön und auch toll von den Leuten, dass die das zugelassen haben.
Also insofern gab es da keine Kontinuität, weil ich genau dieses Fraternisieren, was dann relativ schnell entsteht vermeiden wollte, dass man sich auch privat kennt, denn das bringt natürlich Verzerrungen in der Beobachtung. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Distanz dann eben auch zu halten. Nach STAU z.B. hatte ich gar nicht die Idee, dass wir in ein paar Jahren nochmal wiederkommen.
Es ist so gewesen, dass sich der Mitteldeutsche Rundfunk bei dem Film NEUSTADT im Prinzip nochmal den Film STAU – JETZT GEHT’S LOS! haben wollte. Bloß eben sieben Jahre später. Ich sollte dieselben Protagonisten aufsuchen und gucken, was aus ihnen geworden ist. Und das war etwas, was mich überhaupt nicht interessiert hat. Weil es natürlich nur einen Sinn hat, nochmal irgendwo hinzugehen, wenn man einen anderen Zugriff hat.
Und während es bei STAU im Wesentlichen um ein Gruppenporträt von Jugendlichen ging, ging es dann in NEUSTADT nun auf einmal um diese eine Familie, im Wesentlichen also um Jeanette und die Brüder, die sozusagen in dem vorherigen Film nicht vorkamen. Der Rechtsradikalismus spielt da eigentlich keine so große Rolle, sondern war, sage ich jetzt mal, ein Nebenfeld, das auch thematisiert wird, was aber nicht den Kern des Films ausmacht. Das war mehr so der Alltag, der eben auch rechts ist, ganz einfach. Und damit hat sie aber nichts zu tun. Vielleicht beschreibt es das.
Weshalb ist ausgerechnet diese Szene so ausdrucksstark für Sie?
Naja, das ist ein Kennenlernen, wenn man so will. Es ist ein öffentliches Kennenlernen und vielleicht auch eins, wie sie sich das vorstellt und wie sie es möglicherweise noch nicht erlebt hat. Wir haben ja auch sehr lange gesucht nach ihr. Insofern war mein Interesse an ihr natürlich sehr groß. Zwischendurch als sie nicht aufzufinden war, habe ich gedacht, vielleicht braucht man sie gar nicht für den Film. Und wenn sie eben nicht aufzufinden ist, dann ist es eben so. Aber als wir dann da waren, war relativ schnell klar, dass sie eine ganz wichtige Rolle spielt, die man auch nicht eben mal weglassen kann.
Und die Intensität von ihr hat etwas zu tun mit dieser ungeheuren Ehrlichkeit, mit der sie über ihr Leben spricht. Sie hat – anders als man das ja oft erleben kann – überhaupt keine Erwartungen und keine Vorstellung davon wie das aussehen könnte, wenn es im Fernsehen oder im Kino läuft. Sie hat sich einfach darauf eingelassen und hat uns vertraut. Und dieses Vertrauen führt dann wahrscheinlich zu dieser Intensität.
Als Dokumentarfilmer hat man ja eine besondere Verantwortung, die man nicht hat, wenn man eine fiktive Geschichte inszeniert. Mein Eindruck ist, dass die Personen, mit denen sie sprechen, sich in einem geschützten Raum befinden in dem sie alles sagen können und dadurch eine ganz besondere Form der Intimität entsteht. Suchen Sie so einen geschützten Raum, um Nähe herzustellen?
Um den Raum geht es schon. Ob jetzt geschützter Raum oder nicht – da denke ich nicht drüber nach. Aber es geht natürlich darum, dass ich mir schon sehr genau überlege, wo könnte man die Aufnahmen machen. Das war im Fall von Jeanette ganz klar die Wohnung. Weil das der Ort war, an den sie sich zurückgezogen hat. Das war, wenn man so will, ihr Versteck. Deswegen war auch am Briefkasten kein Name dran. Und dann hat sie es zugelassen, dass wir sie im Versteck besuchen und drehen.
Es gibt einen anderen Fall bei dem Film EISENZEIT. Das war der erste, den ich nach der Wende gemacht habe, 1991. Da geht es um vier Jugendliche aus Eisenhüttenstadt, davon sind zwei in den Westen gegangen und zwei sind in der DDR geblieben. Und die, die seinerzeit in der DDR geblieben waren, haben sich umgebracht. Diesen Film wollte ich schon – noch zu DDR-Zeiten – an der Filmhochschule machen, was ich nicht konnte. So dass ich ihn dann nach der Wende gemacht habe.
Und da sprach ich nun mit der Freundin des einen toten Jungen und die sollte mir beschreiben, wie sie ihren Freund, der sich aufgehängt hatte, gefunden hat. Wie macht man das? Das kann man nicht drehen, indem man sich zuhause auf dem Sofa hinsetzt. Sondern sie hat damals Zeitungsabonnements verkauft – also einfach so ein Job, so eine Fernsehzeitung loszuschlagen. Sie fuhr jeden Tag in eine andere Stadt mit anderen Werbern und hat diese Abonnements verkauft. Also haben wir sie dabei begleitet. Sie hatte sich so einen alten BMW gekauft, wie viele sich alte Autos gekauft haben gleich nach der Wende. Und dann habe ich gedacht, wir werden dieses Interview im Auto machen. Und als Ort habe ich mir dann eine Tankstelle zwischen Eisenhüttenstadt und Berlin ausgesucht. Etwa auf der Hälfte gibt es eine Tankstelle, die war gerade ganz frisch gebaut von Shell. Und das sah so aus wie ein Hopper-Bild, diese Tankstelle in der Landschaft. Wir haben im Auto mit dem Gespräch angefangen, haben dann bei der Tankstelle geparkt und haben einfach weiter geredet. Und dabei wurde es dann dunkel und das Auto war wie so eine Decke. Wir waren so geschützt. Und das war das eigentlich, warum das auf einmal möglich war, dass sie darüber sprach.
Das Problem ist beim Dokumentarfilm oder zumindest bei den Sachen, die ich mache – nicht bei allen, aber bei vielen –, dass man am Ende des Films mehr weiß über die Leute, mit denen man gearbeitet hat, als die über sich selbst. Also man hätte sie eigentlich in der Hand, wenn man so will. Das macht dann die Verantwortung aus, damit umzugehen. Wie mache ich das öffentlich, was ich von ihnen zeige? Was darf ich, was darf ich nicht? Das kann ich nur mit mir selber abmachen und nicht über einen Vertrag klären oder eine Unterschrift. Und auch nicht mit einem Sender oder einem Redakteur. Das muss ich schon irgendwie alleine entscheiden letzten Endes. Das ist immer eine Grenze, auf der man sich bewegt. Und auf der anderen Seite ist genau diese Grenze natürlich auch das, was interessant ist.
Bei den Gesprächen, die ich bei KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT, bzw. in allen meinen Filmen führe, ist es dann auch so, dass – das werden Sie ja gemerkt haben –relativ wenig Fragen gestellt werden. Es sind sehr kurze Fragen. Die heißen dann so: ‚Und dann?‘ oder so etwas. Und das hat damit zu tun, dass mich eigentlich dieses Nachfragen oder dieses Investigative, dass man sich so vorbereitet, eigentlich nicht so sehr interessiert. Sondern mich interessiert, von den Leuten zu erfahren, was sie mir erzählen wollen. Und ich versuche, ihnen den Mut zu geben, das auch zu tun. Also einem Fremden, die Geschichte zu erzählen, die sie eigentlich erzählen wollen und die sie sonst noch keinem erzählt haben oder sie sonst niemanden haben, dem sie die Geschichte erzählen können.
Daraus entsteht etwas Neues, was dann passiert, für die beiden Figuren, also den vor und hinter der Kamera. Und das hat dann eben auch mit dieser Intensität zu tun. Da wird nichts wiederholt, was klar ist. Sondern da passiert etwas zwischen diesen beiden Figuren. Und ich muss dafür sorgen, dass sie die Kamera und den Tonmann vergisst oder nicht mehr wichtig nimmt. Also ich muss dafür sorgen, dass sich das Team, das ich habe, genauso verhält. Wenn ich einen Tonmeister habe, muss ich einen haben, der dafür sorgt, dass er nicht da ist, nicht anwesend ist, obwohl er natürlich mit so einer Riesenangel und was weiß ich nicht da im Raum steht. Und der Kameramann… da gibt es dann das meiste Problem, weil er ja Licht machen will und das Licht ist ja schwer zu verstecken. Da diskutiert man dann manchmal so ein bisschen. Aber na gut. Also solche Sachen sind das.
Gestern habe ich Ihnen doch ein Zitat von Ihnen genannt: „Der DEFA-Dokumentarfilm, wenn er gut war, hat sich immer mit den Leuten, über die die Filme gemacht wurden, verbündet.
Ja, das habe ich möglicherweise mal irgendwann gesagt. Das ist natürlich nicht ganz von mir. Man muss ja immer sagen, wo es herstammt. [Lacht.] Das hat mal jemand in einer Frage zu mir gesagt und da ist ja auch etwas dran. Also das war eine merkwürdige DDR-Erfahrung, dass, wenn man sie mal als, wie auch immer, kommode Diktatur beschreibt, die Leute vor der Kamera unglaublich offen waren. Die haben sich um Kopf und Kragen geredet, wenn man so will. Und es war ihnen auch völlig wurscht. Und das ist heute übrigens nicht mehr so. Sie passen sehr viel mehr auf.
Und das hatte damals etwas zu tun mit dieser Verbindung. Dass beide wussten, vor der Kamera und hinter der Kamera, dass das, was sie tun, nicht das ist, was unbedingt im Fernsehen läuft. Es gab ja noch etwas anderes. Was Fernsehen war, das war das Eine. Es war staatliches Fernsehen. Aber Dokumentarfilm war eine andere Geschichte. Und nicht alle Dokumentarfilme, die gedreht wurden im DEFA-Studio für Dokumentarfilme, sind auch im Fernsehen gelaufen. Das war ja eine ganz klare Trennung. Und da gab es eben diese Beziehung. Man wusste, wir machen hier etwas, was nichts mit denen da zu tun hat. Das ist etwas anderes als das, was im Neuen Deutschland so steht.
Es gibt so einen nicht prophetischen, aber doch bezeichnenden Titel in Ihrer Filmografie. Das ist ein ganz früher Kurzfilm: WOZU DENN ÜBER DIESE LEUTE EINEN FILM?
Da war ich noch auf der Filmhochschule in Babelsberg. Das war 1980 und wir mussten damals sogenannte publizistische Filmübungen machen. Die erste Filmübung war stumm, dann machte man eine Reportage-Übung, also eine Umfrage oder irgendeinen Blödsinn, und dann gab es also den ersten Dokumentarfilm. Da will man dann natürlich etwas ganz Tolles machen.
Ich hatte eigentlich Drucker gelernt. Gar nicht weit von hier am ehemaligen Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. Ich wollte also etwas über diese Druckerei machen. Wie man natürlich immer über etwas was machen will, das man ein bisschen kennt. Da waren auch tolle Leute. Und bei den Recherchen dazu war ich unterwegs und habe einen Freund besucht im Prenzlauer Berg, der wohnte nah am Wasserturm. Was ja alles damals noch ein bisschen anders aussah. Und dem hatten sie gerade das Motorrad geklaut und er erzählte mir, er wüsste auch wahrscheinlich, wer es war. Er hatte die Adresse rausgekriegt und würde da jetzt mal hingehen wollen und mal gucken, was mit dem Motorrad ist. Und dann habe ich gesagt, ,Na da komme ich mit’!
Ich bin dann mit spaziert und wir landeten in einer Familie, wo zwei halbwüchsige Jungs auf dem Sofa saßen und eine Kindersendung im Fernsehen guckten. Und die Mutter – kaum dass sie die Tür aufmacht – schon fragt: ‚Ist schon wieder etwas passiert?‘ Und das fand ich alles sehr interessant. Ich war Anfang 20 und wollte tolle Sachen machen. Und fand das wunderbar, mich um dieses Motorrad zu kümmern und vielleicht sogar schneller zu sein als die Polizei. Das war eigentlich eine sportliche Angelegenheit.
Dann habe ich in der Filmhochschule verkündet, dass ich jetzt einen neuen Stoff mache und das ich das mit den Lehrlingen, über die ich erst was machen wollte, dass mich das nicht mehr interessiert. Und der sagte der damalige Dozent für Dokumentarfilm Jürgen Thierlein, den schönen Satz: ‚Wozu denn über diese Leute einen Film?‘ So heißt der Titel dann. Und naja, dann habe ich das gemacht.
Der Film war ungeheuer spannend für mich. Ein ganz klassischer Anfängerfilm, sage ich mal. Alles aus der Hand gedreht, immer ran ans Leben. Mich hat das sehr interessiert, wie die beiden Jungs, die eigentlich so neben ihrem Schichtdienst – die arbeiteten an der Warschauer Straße, stellten da Glühlampen her, Narva hieß das damals, weiß gar nicht, wie es heute heißt – wie die zwischendurch immer so kleinkriminelle Sachen gemacht haben. Mal hier ein Motorrad einfach benutzen und dann irgendwo abstellen. Oder mal in eine Kaufhalle einbrechen, in einen Kiosk und sich mal eine Flasche rausholen oder mal ein paar Zigaretten. Das war für sie völlig selbstverständlich und normal. Das war ein Alltag, der in der Alltagsbeschreibung der DDR, also in der medialen zumindest, nicht vorkam. Und das fand ich sehr spannend. Dazu kam, dass die Mutter von den beiden aus einer Flüchtlingsfamilie aus dem Schlesischen kam. Sie sprach, 1980, immer noch ein sehr schlechtes, bruchstückhaftes Deutsch. Das war für mich alles neu und aufregend.
Diese Geschichte ist insofern interessant, als dass ich, als die Geschichte hier losging mit der Rütli-Schule in Neukölln, schon am Recherchieren war. Vorher. Vor dem Brief der Direktorin, weil ich dort eine Lehrerin kannte. Ich wollte über diese Schule etwas machen. Das habe ich dann einer Redakteurin erzählt beim ZDF: ,Ich würde gerne etwas über eine Hauptschule machen und gucken, wie das so geht. Ich habe auch die Möglichkeit, in die Familien reinzukommen, wo man normalerweise nicht so leicht reinkommt.’ Und da sagte die Redakteurin: ‚Nein, das haben wir auch schon einmal versucht, aber die können sich ja alle nicht ausdrücken. Und jetzt machen wir es mit einer Gymnasialklasse.‘
Und das ist genau das Problem. Das hat natürlich damit zu tun, dass die, die die Filme in Auftrag geben, die die Filme verkaufen, letzten Endes aus einer sozialen Schicht kommen, die mit denen da unten, sage ich jetzt mal, relativ wenig zu tun hat. Und die kommen ja medial eigentlich nur als Täter vor. Jedenfalls nicht oder sehr selten, so wie sie sind. Also ganz normale Leute. Das hat richtig Folgen.
Bei dem Film KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT hat es die Folge gehabt, dass diese Busfahrerin eben auch als absolute Unterklasse beschrieben wurde in der Presse. Obwohl das natürlich ganz normale kleine Leute sind. Eine Busfahrerin ist ja nicht nur irgendjemand, der nicht arbeiten geht, Hartz IV hat oder sonstwas. Aber das wird einfach so wahrgenommen. Weil man natürlich relativ wenig Busfahrer im Bekanntenkreis hat. Oder ähnliche Leute mit ähnlichen Berufen. Und das ist ein ganz großes Problem, weil durch diese Abschottung der einzelnen sozialen Schichten voneinander, eine Gesellschaft ja auseinander driftet und deswegen interessiert mich das auch.
Wie definieren Sie die Figuren, die in Ihren Filmen auftreten?
Also ich denke darüber normalerweise nicht nach. Muss ich jetzt schwer überlegen. [Lacht.] Wie man die nennt? Sowohl Darsteller als auch Protagonisten… naja… meine Helden vielleicht. [Lange Pause.] Na, doch. Ich meine, die stellen sich hin und man erfährt alles über sie. Am Anfang sage ich immer, etwas salopp gesagt, Dokumentarfilm ist wie Hosen runterlassen. Es ist dann alles zu sehen. Man kann nicht vor der Kamera lügen. Nur, wenn man es sehr, sehr gut geübt hat. Aber auch da sieht man es eigentlich. Wenn man sich oft genug eine Szene oder einen Vorgang anguckt. Am Schneidetisch merkt man, ob etwas stimmt oder nicht. Und auf einmal zuckt da ein Auge oder da ist etwas… Und dann merkt man, irgendetwas ist nicht in Ordnung. So, deswegen ‚Helden‘.
Das ist eine Geschichte, die ist nicht von mir, sondern von Peter Badel, der es auch irgendwo her hat. – Er sagte, Dokumentarfilm ist: ‚Man geht zu Leuten und macht das Licht an. Und dann geht man wieder und lässt die Leute im Licht sitzen.‘ Da ist der Vorgang. Und das beschreibt also das, was man da macht und wofür man auch natürlich eine ungeheure Verantwortung hat.
Das ist eine schöne Definition. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass es in KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT wenig Interventionen gibt, außer den kurzen Fragen. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass sich Dokumentarfilm und Spielfilm auf ungute Weise annähern wollen. Es gibt Dokumentarfilme, bei denen man das Gefühl hat, dass sie stark inszeniert sind. Wie sehen Sie das? Geht da möglicherweise etwas verloren?
Das kann man, glaube ich, schwer pauschal beantworten. Es ist so, dass ich auch in Filmen Formen von Inszenierung genutzt habe. Z.B. gibt einen Film von mir, der heißt IM GLÜCK (NEGER). Den Protagonisten, bzw. meinen Held kenne ich schon sehr lange, weil ich lange Zeit am Berliner Ensemble inszeniert habe. Und damals habe ich mir Kinder von der Straße geholt und mit denen dann Stücke für Erwachsene gemacht. Und eines dieser Kinder von damals – der war damals 11 oder 12 – ist dann später Held dieses Films. NEGER auch deswegen, weil er in „Anatomie Titus“, in der Fassung von Heiner Müller den ‚Neger‘ gespielt, den Aaron. Das wollte er damals erst nicht, weil er sagte, ich spiele keinen ,Neger’. Der war so ein bisschen rechts, sage ich mal. Eine Weile. Und dann war er aber ein toller ‚Neger‘.
Und das war sehr schwierig bei den Dreharbeiten, diese positive Naivität herzustellen, weil er natürlich inzwischen auch Filme von mir kannte. Also musste ich etwas machen. Wie zeige ich ihn? Und das habe ich dann gelöst, indem ich ihn habe Briefe vorlesen lassen. An seinen Vater. Da steht er in der Mitte des Zimmers und liest einen Brief an seinen Vater vor, wo er von ihm verlangt, dass er ihm mitteilt, dass er keine Unterhaltszahlung leisten kann. Weil er dieses Papier für das Sozialamt braucht und sonst kein Bafög bekommt für seine Lehrstelle. Und er droht ihm auch. Er muss sagen: ‚Wenn du das nicht schickst, muss ich die Polizei einschalten, weil ich sonst dieses Geld nicht bekomme. Und ich muss sehen, wo ich bleibe.‘ usw. Man sieht, während er diesen Brief liest, ohne dass er darüber redet – allein in der Art des Vortrags praktisch und wie er das macht –, dass er in diesem Konflikt zwischen Liebe zu diesem Vater und der Notwendigkeit, von ihm dieses Schreiben zu bekommen, zerrissen wird.
Und das ist natürlich eine Form von Inszenierung, aber der Vorgang an sich ist natürlich wieder nicht inszeniert. Sondern das ist dann einfach die Situation. Und das konnte ich nur machen, weil er sich auf mich verlassen hat. Ich weiß nicht, ob er jemand anderem solche Briefe vorgelesen hätte. Und das habe ich dann relativ oft gemacht. Der Film endet übrigens interessanter Weise mit einem Brief an mich. Also einem Brief des Helden an den Regisseur, wo er in die Kamera fragt, was dieser Film eigentlich soll und was der erzählen soll und er würde das nicht mehr verstehen. Und dass er nicht mehr unterscheiden kann – weil wir uns ja so lange kennen –, ist es jetzt eine Sache des Films oder ist es eine Sache der Freundschaft, wenn wir miteinander reden.
Und das Verrückte war… Die ist ungeschnitten die Szene. Er sagt irgendwann, er gibt mir einen Rat, ich soll den Mund aufmachen, wenn ich denke, er sei dumm. Und wenn ich ihn zu irgendetwas benutze, dann gibt es richtig Ärger. Diesen Satz kriegt er aber nicht zustande. Es kommt immer nur: ‚Ich gebe dir nur einen Rat…‘ Und dann bricht er ab – und das zehn Mal hintereinander. Und das ist unglaublich. Das ist etwas, wo Inszenierung natürlich auf einmal etwas nach oben holt, was man aus einer normalen Beobachtung gar nicht bekommen kann. So etwas halte ich für möglich.
Für mich wird es schwierig, wenn Szenen nachgestellt werden. Was jetzt ja immer beliebter wird. Über das Privatfernsehen kommt das ja inzwischen auch im öffentlich-rechtlichen an. Und davon halte ich nicht so viel!
Es ist ja auch heute so, dass die Leute sich einer Kamera bewusster sind, glaube ich. Sie entblößen sich auch eher, vermutlich eine Tendenz, die durch die pseudodokumentarischen Formate im Privatfernsehen bestärkt wird.
Naja, das macht die Arbeit schon manchmal schwierig, weil die Naivität wegfällt.
Da unterscheidet sich Deutschland auch stark von anderen Ländern. In Frankreich z.B. gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Fernsehen und Kino. Den gibt es in Deutschland so nicht. Sondern alle deutschen Kinofilme sind ja eigentlich auch Fernsehfilme. Weil die Sender jeweils daran beteiligt sind. Das hat dann wieder Folgen für die Erzählweise, vor allem im Dokumentarfilm. Es gibt praktisch keine Ankäufe. Es gibt nur Filme, die in irgendeiner Weise auch zu den vorgesehenen Sendeplätzen passen…. Jetzt fällt mir das schöne Wort dazu nicht ein. Es gibt einen Begriff dafür, der mir jetzt nicht einfällt. Also es gibt sozusagen immer Sendeplätze, die ganz bestimmte Dinge erfüllen müssen und da werden dann die Filme reingestopft. Das hat natürlich zur Folge, dass die Filme dann auch Ähnlichkeiten entwickeln. Manche halten das auf der großen Leinwand aus, viele halten es eben nicht aus. Und das ist keine besonders glückliche Entwicklung. Das hängt aber mit dem Finanzierungssystem zusammen, das wir in Deutschland haben, dass eben die Sender ganz stark mitfinanzieren. Das ist keine gute Tendenz.
Was zeichnet einen guten Dokumentarfilmer aus? Was muss er mitbringen?
Ich würde mal sagen, bäuerliche Geduld. [Lacht.] Hat Kluge mal gesagt. Es gibt noch etwas dazu, was, glaube ich, ganz wichtig ist: Man muss von sich absehen können. Das halte ich für einen wichtigen Punkt. Man muss sein Interesse auf etwas anderes richten als das, was einen selber vielleicht als erstes betrifft. Man muss Neugier haben. Also zu der Geduld kommt noch die Neugier dazu.
Was ist der richtige Zugang oder die richtige Ausbildung für diesen Beruf?
Das ist eine gute Frage. Also ich glaube nicht, dass man es wirklich lernen kann. Ich glaube nicht an Lehrbücher, es gibt ja ganz viel Literatur, wie man das richtig macht und so. Und das, was man machen kann, ist sich selber in Bewegung setzen. Bei der Uni, da hat so eine Studentin oder ein Mädchen, das Studentin werden wollte, hat geschrieben, was sie denn nur machen soll? Sie würde so gerne zum Film. Und dann habe ich gesagt: Dann mach doch mal etwas, was Du noch nie gemacht hast. Fahr zur Spargelernte! Ernte den Spargel und fotografiere dabei! Fotografiere die, die da arbeiten und fotografiere die, die den Spargel kaufen! Wenn Du ins Ausland fährst, dann fahre mal nicht nach Indien, sondern fahre nach Rumänien oder fahr nach Was-weiß-ich-wohin! Fahr jedenfalls nicht in die Orte, die man so kennt, sondern fahr an die Orte, die Du nicht kennst. Und das mach mal zwei Jahre und bewege dich überall da, wo du ganz unsicher bist. Und dann komm wieder und dann fang an zu studieren! So kann man es vielleicht lernen… Das man sich einlässt auf Dinge, von denen man keine Ahnung hat.
Als ich damals STAU gemacht habe, war das eine Frage von einer Produzentin: Willst du nicht etwas über Neonazis machen? Da habe ich gesagt, ja. Und hatte keine Ahnung, was das ist. Das hat mich interessiert. Und dann musste ich die kennenlernen. Das heißt, ich musste mich auf den Weg zu ihnen machen. Ich bin nach Halle gefahren und da gab es eine kleine Kneipe wirklich am Rand der Stadt. In der Steppe kann man sagen. Dahinter begann echt die Steppe, da war nichts… von Halle-Neustadt. Und die war als Nazi-Kneipe verschrien, das war das Einzige, was ich recherchiert hatte.
Und da musste ich nun rein. Also bin ich da hingegangen und habe mir am Tresen zwei Bier geholt oder drei. Und dass habe ich dann jeden Tag gemacht. Und bin immer bei meinen drei Bier geblieben und dann bin ich wieder abgehauen. Und das habe ich etwa zwei Monate betrieben und dachte, irgendwann wird mich jemand ansprechen. Und das ist dann auch passiert. Das war einer, der später einer der Helden dieses Films wurde. Der hatte Zahnschmerzen und so kamen wir ins Gespräch über Zahnschmerzen. Und so fing das ganz langsam an. Nachdem wir so eine Weile gesprochen hatten, fragte er: Was machst du denn hier? Sagte ich: Ich überlege, ob ich hier einen Film drehe. Und da war das Gespräch schon wieder zu Ende. Und dann musste ich wieder von vorne anfangen. Und dann habe ich den Jungs gesagt: ,Ihr müsst ja nicht den Film machen, ihr könnt ja auch sagen, ihr wollt gar nicht. Aber ich schlage euch vor, den zu machen und ihr könnt ja erstmal einen Film von mir sehen. Und wenn euch der gefällt, dann können wir ja vielleicht miteinander reden.’ Und dann habe ich ihnen EISENZEIT gezeigt über die beiden toten Jungs. Danach haben die sich zusammengesetzt, diese Neonazis, und haben beschlossen, sie machen den Film. Und so hatten wir eine Vertrauensbasis und konnten miteinander arbeiten. Also so kann man es vielleicht versuchen.
Das Problem ist häufig, dass oft soviel Zeit gar nicht hat. Es wird von den Geldgebern erwartet, dass man hinfährt und sofort dreht.
Warum ist der Film in schwarz-weiß gedreht?
Das hat ja Gründe, warum so ein Film schwarz-weiß ist. Ich musste dieses Bild, was ich von Jeanette hatte, musste ich mir gegenüber fremd machen und musste das neu sehen. Aber ich wusste natürlich, was sie gesagt hat. Ich kenne jeden Buchstaben, den sie gesagt hat. Das habe ich im Ohr, weiß genau wie es klingt. Das ist sofort da. Ich musste sozusagen eine Distanz herstellen, das habe ich eben auch über dieses Schwarz-Weiß erreicht.
Dazu kommt, dass durch dieses Schwarz-Weiß die Landschaft, die vollgestellt ist mit Werbepostern und Was-weiß-ich-nicht-alles… Dadurch, dass ich das schwarz-weiß mache sind die auf einmal nicht mehr da und man kann auf einmal wieder den Menschen sehen. Der nicht überbrüllt wird von bunten Texten und Bildern.
Was ist für den Dokumentarfilmer der wichtigste Partner im Team?
Ich habe sehr viele Filme mit Peter Badel gedreht, der ein toller Kameramann ist. Ich habe dann auch mal ganz bewusst gewechselt. Als ich dann mit Börres Weiffenbach gedreht habe. Bei diesem Film KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT, der ist mit Börres Weiffenbach gedreht, der Film davor mit Peter Badel und der Film davor mit Sebastian Richter. Aber sonst sind die meisten Filme eigentlich mit Peter gemacht und wir kennen uns schon von der Filmhochschule. Wir haben auch zusammen den Film gemacht, der dazu geführt hat, dass ich von der Filmhochschule geflogen bin und der vernichtet wurde. Das verbindet natürlich auch.
Ich besetze das Team, wenn man so will, wie ich im Theater die Schauspieler besetzt habe. Mich interessiert ja an einem Tonmann nicht nur der Ton. Sondern ich will natürlich wissen, was macht der sich für Gedanken zu dem Stoff, der uns da gerade beschäftigt. Und die Gedanken will ich hören und ich will auch seine Vorschläge dazu hören. Nicht einfach nur, ich mache dir das! Damit kann ich nichts anfangen. Das gilt natürlich auch für Kamera, Schnitt und diese ganzen Sachen.
Vielleicht ist für manche Dokumentarfilmer der Schnitt das Wichtigste?
Naja, klar. Ich weiß ja am Anfang eines Films nicht, was hinten rauskommt. Das ist ja sehr schwer. Das Problem ist, wenn ich einen Film mache, dann muss ich erstmal etwas Schönes aufschreiben, dann geht das in die Redaktion, dann versuchen wir, irgendwie Geld zu kriegen – ich habe ja keine Ahnung, was da wird. Also ich kann das nicht versprechen. Sondern ich weiß, das ist das Feld, was mich interessiert. Wenn ich es wüsste, bräuchte ich den Film ja nicht mehr machen. Der Film ist ja eine Entdeckung. Und die kann ich nicht machen, wenn ich sie schon kenne. Das ist Schwachsinn.
Haben Sie einen Lieblingsfilm oder einen Filmemacher, den Sie besonders bewundern?
Na, es gibt schon ein paar… [Lacht.] Natürlich gibt es Filme von Jürgen Böttcher, die ich hinreißend finde, wie z.B. RANGIERER. Auch weil es ein Film ist, in dem auch nicht geredet wird. Was ich ganz spannend finde. Was auch etwas mit der Zeit zu tun hat, in der er gemacht wurde. Mich hat eine Zeit lang sehr Buñuel interessiert. Ich kann, muss ich zugeben, weniger mit den Sachen anfangen, die zurzeit so en vogue sind. Aber das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich zwar gerne Filme mache, aber nicht jeden Tag ins Kino renne. Das hat sich irgendwie geändert. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich dann zwischendurch Theater gemacht habe. Mich interessiert mehr, was der Dok-Film kann. Dieses Kennenlernen. Man kann dann Dinge miteinander machen. Man kann etwas herausbekommen. Man kann etwas Neues sehen. Das interessiert mich daran.
Welche Buñuels? Das interessiert mich dann doch jetzt.
Ein ganz früher, den ich auch bis heute nicht vergessen habe: LOS OLVIDADOS. Der inszeniert ist. [Lacht.] Aber eben mit Laien. Sowas. Natürlich so etwas wie DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE.
Ach so, dann gibt es noch einen Film, nicht von Buñuel, den ich vielleicht noch nenne sollte. Den muss man wirklich kennen und den versuche ich auch den Studenten nahezubringen, weil die kennen den alle nicht. Das ist ICH WAR NEUNZEHN von Konrad Wolf. Das ist wirklich ein ganz wesentlicher Film.
Ich habe eine Zeit lang bei Heiner Carow als Assistent gearbeitet. Das spielt sicher auch eine Rolle. Der hat mich seinerzeit für einen Film von sich, nämlich BIS DASS DER TOD EUCH SCHEIDET losgeschickt zu recherchieren unter jungen Eheleuten. In der DDR wurde ja sehr früh geheiratet. Meistens schon mit 18, soweit man das konnte. Denn wenn man geheiratet hatte, konnte man so einen Ehekredit beantragen – eine andere Form von Kredit gab es nicht – und mit diesem Ehekredit konnte man sich dann eine Schrankwand oder irgendetwas kaufen. Was man eben brauchte für seine Wohnung. Und die Wohnung kriegte man auch natürlich leichter, wenn man verheiratet war.
Und ich war wirklich Anfang 20, war gerade zurückgekommen von der Armee. Und habe dann angefangen zu recherchieren und zeitgleich auf der Abendschule mein Abitur nachgeholt, um auf die Filmhochschule gehen zu können. Ich habe die ganze Abendschule durchinterviewt, also alle, die mit mir in der Klasse waren. Und habe mir also die Ehegeschichten angehört. Das war sehr merkwürdig, weil ich mir die einzeln angehört habe. Also erst die Frau, dann den Mann. Und dann das nächste Pärchen. Das wurde dann alles anonymisiert transkribiert und das war dann das Belegmaterial für die Ehegeschichte von Heiner Carow.
Das war völlig verrückt, weil die Paare natürlich etwas völlig anderes erzählten. Die Frauen erzählten eine Geschichte und dann kam der Mann und erzählt eine völlig andere Geschichte. Und der Mann erzählte meinetwegen, wie toll das läuft in der Ehe und wie super alles ist und im Bett ist es wunderbar. Und die Frau sagt auf einmal, wenn er mich anfasst, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Und ich sitze nur da und höre mir das an, kann dem anderen nicht sagen, was der jeweils andere gesagt hat. Das fand ich interessant. So bin ich eigentlich zum Dokumentarfilm gekommen, also über diese Sachen.
Über diese Recherchen für verschiedenen Filme von Carow bin ich letzten Endes zum Dokumentarfilm hingeraten. Eigentlich wollte ich ja am Anfang – wie alle – zum Spielfilm. Dokumentarfilm, ich wusste gar nicht, was das ist. Diese Recherchen für Carow haben mir sozusagen das aufgemacht, was Dokumentarfilm eigentlich ist. Das ist aber wieder das Fremde eigentlich. Also irgendwo hingehen, wo man fremd ist.
Was ist Kino?
[Pause] Was ist Kino? Da bin ich überfordert. Jetzt kriege ich das nicht auf einen Begriff. Jedenfalls nicht jetzt.
Wenn es nicht dieser Beruf wäre, Dokumentarfilmer, welchen anderen Beruf im Kino würden Sie gern ausüben?
Ich habe mal Karten abgerissen, es war ziemlich schrecklich. Ich musste dann einen ganz schlimmen Film immer wieder sehen, weil es war Pflicht, dass man im Saal war. Das war schon sehr anstrengend. Aber… weiß ich nicht, was ich dann machen würde. Wenn ich nicht Film machen würde, sage ich jetzt mal, dann würde ich wahrscheinlich versuchen, wieder am Theater zu arbeiten.
Ich bin ja schon sehr lange Freiberufler. Also schon seit DDR-Zeiten, seit 1982, wenn man so will. Und manchmal habe ich mir das schon gewünscht, dass man einfach einen Job hat und am Wochenende ist Ruhe. Also man weiß, wann Feierabend ist. Das geht ja immer 24 Stunden und das ist schon so… Aber na gut, das gibt sich auch sehr schnell wieder
Das Gespräch führte Gerhard Midding.
Thomas Heise, 1955 geboren, absolvierte eine Druckerlehre, bevor er 1975 bei der DEFA Assistent von so bedeutenden Regisseuren wie Juli Raisman und Heiner Carow wurde. Nach seinem Regiestudium an der HFF Potsdam-Babelsberg arbeitete er ab 1983 freiberuflich als Theaterregisseur am Berliner Ensemble und Dokumentarfilmer. Bis zum Ende der DDR wurden jedoch all seine Dokumentarfilmprojekte mit "operativen Mitteln" verhindert, vernichtet oder eingezogen.
In seinen Filmen greift er immer Themen aus früheren Filmen auf, besucht ehemalige Drehorte und Gesprächspartner erneut. KINDER. WIE DIE ZEIT VERGEHT (2008) ist der Abschluss seiner Trilogie über junge Menschen in Halle-Neustadt.
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Thomas Heise
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