Casting
Glossar
I. EINFÜHRUNG: Kommunikationskunst Casting
Mit den Castingshows im Fernsehen oder dem insgeheimen Versprechen, entdeckt und ‚vom Fleck weg’ engagiert zu werden, hat Casting in der Realität nur sehr wenig zu tun. Es umfasst auch nicht allein das Vorsprechen für eine Filmrolle, sondern das gesamte Auswahlverfahren bis zu einem stimmigen Ensemble. Dabei sollte ein Casting Director keinesfalls mit einem Schauspielagenten verwechselt werden, der einzelne Darsteller unter Vertrag hat und sie vermarktet. Verglichen damit, geht ein Casting Director viel unabhängiger auf die Suche nach der geeigneten Besetzung und neuen Talenten.
Obwohl Casting als frühe Etappe der Vorproduktion durchaus eine Schlüsselrolle einnimmt, gibt es noch keine spezielle Ausbildung dafür. Die meisten Casting Directors sind Quereinsteiger, die sich durch Nervenstärke, diplomatisches Geschick und die Freude am Kontakt mit Menschen auszeichnen. Darüber hinaus müssen sie eine präzise Kenntnis der Theater-, Film- und Fernsehbranche besitzen und in der Lage sein, Nachwuchs zu fördern sowie Talente und Trends zu erkennen. 90 Prozent eines Films seien Casting, hat der amerikanische Regisseur Robert Altman einmal behauptet – wahrgenommen wird es jedoch oft nur dann, wenn es misslungen ist.
II. WISSEN: Zwischen Demoband und Vorsprechen
II.1 Historische Stationen der Castingbranche
Obwohl sich in der deutschen Sprache keine eigene Bezeichnung für Casting durchsetzen konnte, hat der Berufsstand auch hierzulande eine Tradition. Da professionelle Theaterschauspieler das neue, ‚minderwertige’ Medium Film ablehnten, sah man sich bereits in den Anfängen des deutschen Films gezwungen, nach Darstellern systematisch zu suchen. Frühe Stummfilme wurden daraufhin zunächst mit Laien besetzt, bei denen vorrangig Ausstrahlung und akrobatische Fähigkeiten zählten. Erst mit dem Aufstieg des Erzählkinos verschob sich die Suche zugunsten erfahrener Charakterdarsteller, die den Inhalt einer Geschichte transportieren konnten.
II.2 Der Castingprozess
Castings laufen ebenso wie die Filme, die gedreht werden sollen, nicht immer nach dem gleichen Muster ab. Je nach Produktion lassen das Budget und der Zeitplan eine aufwendigere Suche nach den richtigen Schauspielern zu.
Auftrag – Ergeht in der Regel von Produktionsfirma oder Regisseur
Wenn ein Casting Director bzw. seine Castingagentur gebeten wurde, geeignete Darsteller für einen geplanten Film zu finden, beginnt ein langwieriger Abstimmungsprozess zwischen Produzent, Regisseur, Schauspielern und TV-Redaktionen, den der Casting Director ergebnisorientiert als Mittler moderiert und vorantreibt. Da er im Gegensatz zu Schauspielagenten nicht an der Gage der Schauspieler partizipiert, kann er unabhängig und mit offenen Augen nach der idealen Besetzung für die Sprechrollen suchen.
Drehbuchlektüre – Als Arbeits- und Diskussionsgrundlage für die Besetzung
Um überhaupt gute Besetzungsideen entwickeln zu können, sind ein Verständnis für dramaturgische Zusammenhänge und die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Filmstoff unabdingbar. Deshalb liest der Casting Director das Drehbuch, entwickelt erste Rollenvorstellungen im Kopf, erarbeitet ein eigenes inhaltlich-künstlerisches Besetzungskonzept und tauscht sich darüber mit dem Regisseur aus. In ausführlichen Gesprächen klärt sich schnell, ob beide Seiten bereits ähnliche Vorstellungen haben und welche Gagen das Budget potenziell zulässt.
Erstauswahl – In der Talentdatenbank, in Internetarchiven, Agenturkatalogen und nach den Wünschen des Regisseurs
Ob freier oder angestellter Casting Director, die Grundlage jeglicher Besetzungsvorschläge ist die eigene Talentdatenbank. Im Idealfall wird der Casting Director hier schon fündig und kann rasch erste Vorschläge präsentieren – etwa 5-10 pro Sprechrolle –, Fotos zusammenstellen, Demobänder organisieren und überprüfen, inwieweit die Darsteller terminlich verfügbar wären. Für Statistenrollen oder Kinder und Jugendliche sind in der Regel spezialisierte Castingagenturen zuständig.
Talentsuche – An Schauspielschulen, Theatern, im Fernsehen, Zirkus, bei Festivals, auf der Straße usw.
Sofern sich der Regisseur bewusst für eine noch unbekannte Besetzung entscheidet, genügen vorliegende Demobänder, Agenturkataloge oder Internetarchive oft nicht. In solchen Fällen dehnt der Casting Director seine Suche auch auf Ausbildungsstätten, Schauspieltreffen u.ä. aus oder schaltet in seltenen Fällen einen Castingaufruf in den Medien. Allerdings ist selbst für einen nicht prominent besetzten Film ein Schauspielstar oft wichtig. Er lockt Zuschauer mit höherer Wahrscheinlichkeit in die Kinos und überzeugt mögliche Geldgeber.
Vorsprechen – Vor Casting Director, Regisseur und Produzent
Nachdem potenzielle Darsteller eingeladen wurden, obliegt dem Casting Director die Organisation, Durchführung und Leitung des Vorsprechens, bei dem die Schauspieler die Chance erhalten, sich z.B. durch ein ‚Cold Reading’ kurz zu präsentieren. Man unterscheidet offene Castings, an denen jeder teilnehmen kann, von geschlossenen Castings, zu denen speziell eingeladen wird und die von den Darstellern oft bereits mit ausgewählten Szenen des Drehbuchs vorbereitet werden müssen.
Entscheidung – Nach Abstimmung mit dem Casting Director letztendlich durch Regisseur und Produzent
Die Entscheidung für oder gegen einen Schauspieler trifft der Casting Director stets im Dialog mit seinen Auftraggebern. Ob ein Darsteller die Verantwortlichen überzeugen kann, ist abhängig...
- ... von seiner schauspielerischen Leistung und der Glaubwürdigkeit, mit der er die jeweilige Rolle verkörpert und eine Figur greifbar macht.
- ... von persönlicher Ausstrahlung, der äußeren Erscheinung und seiner Präsenz vor der Kamera.
- ... von seiner Fähigkeit bzw. Eignung für das gewünschte Filmgenre.
- ... von individuellen Fähigkeiten (z.B. Dialekte, Tanz, Sportarten).... vom Zusammenspiel der Schauspieler. Für einen funktionierenden Film ist ein gelungenes Ensemble sehr wichtig. Ein Casting Director achtet deshalb auch auf Spannungen, Dissonanzen oder Harmonie zwischen den Bewerbern.
II.3 Die Vorbereitung für ein Casting
Selbst guten Schauspielern genügt nicht allein ihre Begabung, sie müssen sie auch präsentieren können. Das geschieht in erster Linie mit einer aussagekräftigen Bewerbung und guten Fotos. Um mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten auch visuell zu überzeugen, produzieren viele Darsteller zusätzlich ein kurzes Demoband auf DVD, das vor allem in seiner Gesamtheit wie eine gelungene Visitenkarte überzeugen muss.
- Auf dem Band sollte sich ein stimmiger Zusammenschnitt von Filmsequenzen der bisherigen Schauspielengagements befinden. Wichtig ist es, ausdrucksstarke und für den Schauspieltyp charakteristische Szenen auszuwählen.
- Um das Persönlichkeitsbild des Schauspielers zusätzlich zu unterstreichen, kann mitunter eine musikalische Untermalung des Mitschnitts hilfreich sein. Er sollte jedoch sorgfältig gewählt sein und mit der jeweiligen Rolleninterpretation harmonieren.
- Am Anfang des Demobandes müssen der Name des Darstellers, am Ende Kontaktmöglichkeiten und die betreuende Agentur eingeblendet werden.
- Auch die DVD-Hülle und das Booklet bieten die Möglichkeit, neben formalen Angaben wie dem Namen und der Bandlänge mit Fotografien und graphischen Elementen in kreativer Weise auf sich aufmerksam zu machen.
Wenn die Bewerbungsunterlagen überzeugen konnten, ist die erste große Hürde genommen und der Schauspieler hat die Chance, sich bei einem Vorsprechen oder in einem persönlichen Gespräch mit seinen handwerklichen Fähigkeiten vorzustellen. Oftmals müssen dafür einige vom Regisseur zuvor ausgewählte Drehbuchszenen vorbereitet werden. Um sich der angestrebten Filmrolle so gut wie möglich anzunähern, bedarf es neben der Unterstützung durch professionelle Dienstleister wie Stimm- und Atempädagogen vor allem einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Filmcharakter und dem Drehbuch.
Wie erarbeitet man sich ein Filmrolle?
- Frage Dich, in welchem seelischen und körperlichen Zustand sich Deine Figur in der Szene befindet und was Du mit Deiner Interpretation ausdrücken willst und warum.
- Orientiere Dich in Gedanken auch räumlich in der Szene: Wo kommt die Figur her und wo will sie hin?
- Stelle Dir vor, womit die Figur möglicherweise gekleidet ist und wie sich dadurch z.B. Deine Körperhaltung verändert.
- Halte Dir vor Augen, womit Deine Figur beschäftigt ist (Rauchen, Kochen, Lesen...) und wie sie in der betreffenden Szene handelt.
- Sammle, wenn möglich, zusätzliche Informationen zu Deiner Rolle und erarbeite Dir das Milieu oder die historische Zeit genauer.
- Beschäftige Dich intensiv mit den Dialogen und mache Dir die Sprache der Rolle zueigen.
- Entwirf unter Umständen einen fiktiven Lebenslauf für Deine Rolle, in dem Du Besonderheiten und prägende Lebensstationen festhältst.
- Erfinde Dir den Subtext, falls er im Drehbuch nicht notiert ist, selbst und lerne zumindest in Grundzügen auch den Text Deines Partners, sodass Dir Reaktionen glaubwürdig gelingen.
- Wiederhole die Szene im Vorfeld oft genug und lass Deine Authentizität durch kritische Freunde überprüfen – Du sollst spielen, aber keinesfalls theatralisch wirken.
III. ANWENDUNG: Die Besetzung der Filmrollen
III.1 Rezeptive Filmbildung
- Die Schüler sehen ausgewählte 24-Filmausschnitte und äußern erste Eindrücke und Vermutungen darüber, aufgrund welcher Fähigkeiten oder Eigenschaften der jeweilige Schauspieler für die betreffende Rolle besetzt wurde. Anschließend trägt die Klasse in kleinen Gruppen Ideen und Vorgehensweisen zusammen, wie sich zielgerichtet unbekannte, aber dennoch talentierte Schauspieler finden lassen.
- Die Schüler lesen das Drehbuch eines Kurzfilms und beschreiben ihren Mitschülern die in ihren Augen perfekte Besetzung für die einzelnen Filmfiguren. Anschließend sehen sie den realisierten Kurzfilm und vergleichen ihre eigenen Castingideen mit den tatsächlich besetzten Filmrollen.
Fragestellungen: Wie sieht die Figur aus, welche Eigenschaften zeichnen sie aus? Wie entsteht im einzelnen die Idee für die Besetzung mit einem bestimmten Schauspieler?
III.2 Aktive Filmbildung
- Die Klasse teilt sich in mehrere Kleingruppen mit max. fünf Schülern auf. Jede Gruppe studiert nun gemeinsam eine kurze Szene eines zuvor besprochenen modernen Dramas ein und spielt sie im Anschluss vor. Die Schüler entscheiden gemeinsam, wer die jeweilige Rolle in einer potenziellen Verfilmung bekommen würde.
Fragestellungen: Nach welchen Kriterien lassen sich begründete Entscheidungen treffen? Worauf sollte beim Zusammenspiel mehrerer Darsteller geachtet werden? Welche Bedeutung haben Aussehen, Kleidung und Stimme? - Die Schüler erhalten die Kopie einer Drehbuchszene, verteilen untereinander die Sprechrollen und versuchen, die einzelnen Figuren in einer Art ‚Cold Reading’ zum Leben zu erwecken. Dabei dürfen sie zwar von der Textvorlage ablesen, sollen ihre Stimme, mögliche Gesten und Bewegungen jedoch bereits rollenspezifisch anpassen.
IV. WEITERFÜHRENDE LITERATUR UND WEBLINKS
- www.vierundzwanzig.de/casting (Link zum Gewerk auf 24 mit Interviewclips, Filmausschnitten und Hintergrundinformationen)
- www.castingverband.de (Homepage des Bundesverbandes Casting e.V.)
- www.casting-network.de (Aktuelle Kontaktdaten und Informationen zur Casting- und Filmbranche mit einem Verzeichnis der deutschen Nachwuchsagenturen, Kinder- und Jugendschauspielschulen, Workshops für Jugendliche und offenen Castingaufrufen)
- www.filmmakers.de (Große deutschsprachige Internetplattform, auf der sich Schauspieler professionell präsentieren und Regisseure, Produzenten und Casting Directors nach geeigneten Darstellern und Kontaktdaten suchen können)
- Thiele, Tina: Casting, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2005. (Ausführlicher Einführungsband mit vielen Beispielen aus der Berufspraxis)
Was sind die Aufgaben des Casting Directors?
Casting bezeichnet den Prozess einer Auswahl von Talenten für eine Produktion – nicht nur bei Film und Fernsehen, sondern auch für Bühne und Theater, für Shows und mittlerweile auch Popbands. Beim Film übernehmen Casting Directors die Aufgabe, einen Überblick über alle in Frage kommenden Schauspieler, insbesondere junge und noch unbekannte Talente, zu behalten. Sie treffen eine Vorauswahl, die dem Regisseur und dem Produzenten vorgelegt wird und üblicherweise zu einem oder mehreren Vorsprechen (Auditions) führt. Dabei wird die Eignung eines Kandidaten für eine bestimmte Rolle, aber auch die Chemie im Zusammenspiel mit anderen Schauspielern erprobt. Am Schluss folgt die Entscheidung über die Besetzung. Manche Rollen, insbesondere von Hauptfiguren im Kindesalter, lassen sich nicht mit bereits registrierten Darstellern besetzen. Diese Rollen können häufig erst nach Casting-Aufrufen und einer aufwendigen Suche besetzt werden.