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Die Stille der Kaparten

Wie Dirk W. Jacob beim Dreh von KRABAT ein Second Unit-Tonteamlosschickte, die besonderen Naturatmosphären der Karpaten einzufangen 
 

„Stille ist immer nur das, was man überhört, aber das kann trotzdem ganz viel sein.”

Interview mit Dirk W. Jacob

Für die meisten Filmemacher war die Einführung des Tonfilms gleichbedeutend mit der des Sprechfilms. Zu den wenigen, die zwischen Beidem zu unterscheiden wussten, gehörte Fritz Lang. Dessen erfindungsreiche Toningenieure haben in Dirk W. Jacob einen würdigen Erben gefunden. Schauen Sie sich einmal KRABAT an und schalten denTon dabei ab: Sie werden merken, dass dem Film eine entscheidende, unverzichtbare Dimension fehlt. Jacob hat sein Sound Design wie eine Partitur komponiert. Die Tonspur ist raunend expressiv, springt mutig zwischen den Realitätsebenen und übersteigert kühn die Effekte.

Die Szene
Der Waisenjunge Krabat hat in einer Mühle Unterschlupf gefunden, in der er hart arbeiten muss. In der Nacht wacht Krabat von seltsamen Geräusche auf und beobachtet geheimnisvolle Dinge: alle Burschen und der Müller stehen vor der Mühle und erwarten die Ankunft des Gevatters, einer dunklen Gestalt, der Säcke mit unheilvollen Inhalt bringt.

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Können Sie uns zum Einstieg etwas zum Inhalt des Films KRABAT und der ausgewählten Szene erzählen.

Der Film KRABAT handelt von einem Waisenjungen namens Krabat, der in der Lausitz zur Zeit des 30-jährigen Krieges als Bettler unterwegs ist und in einer Winternacht von Raben in eine Mühle gelockt wird. Dort meint er ein neues Zuhause zu finden und lebt sich auch gut ein. Es stellt sich dann aber heraus, dass bei dieser Mühle schwarze Magie mit im Spiel ist und der Meister, also der Chef der Mühle… Dass nicht ganz klar ist, was da vor sich geht. Die Szene, über die wir sprechen ist die erste, wo sich dieses Unheil andeutet. Vorher sehen wir eigentlich nur normales Mühlengeschehen, die Arbeit der Müllerburschen. Und in dieser Szene wacht Krabat nachts auf, merkt, dass in dem Schlafsaal alle weg sind und es auch still ist. Die Burschen stehen alle draußen im Hof mit Fackeln, und da wird die Ankunft des Gevatters erwartet. Es ist eine Figur, der Tod, das Unheil, der dann die Mühle erreicht und dem offenbar der Meister, also der Müller, unterworfen ist und dem er in irgendeiner Form zu dienen hat. Wie ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar ist. Diese Szene ist der Wechsel im Film von diesem Gefühl, eine neue Heimat oder Freunde, so eine Art Familie gefunden zu haben, zu dem Unheil, was sich da andeutet und dem Bösen, was da dann doch dahintersteckt.

Weshalb haben Sie sich diese Szene ausgesucht? In welcher Weise ist sie repräsentativ für Ihre Arbeit bei diesem Film?

Die Szene ist ein schönes Beispiel für meine Arbeit, weil zum einen dieser Atmosphärenwechsel stattfindet – von der normalen Atmosphäre der Mühle, in der gearbeitet wird, wo es Abläufe gibt, Tag und Nacht. Alles spielt sich atmosphärisch in einem normalen Rahmen ab. Und dann kippt das alles auch atmosphärisch in einen unheimlicheren Zustand. Es sind Elemente, die wechseln, Elemente, die gleichbleiben. Es ist alles wieder erkennbar. Die Substanz der Mühlräder, das Holz – die haben sich ja nicht verändert. Aber alles Bekannte kriegt so andere Elemente eben auch im Ton, die diesen Wechsel verdeutlichen. Und zum anderen ist diese Szene mit der Ankunft des Gevatters auch ein sehr schönes Beispiel für den Aufbau einer Szene. Also wie sich die Ankunft aus der Ferne andeutet, dann näher kommt. Aber auch, wie aus ganz verschiedenen Elementen eine Tondramaturgie geschichtet sein kann. Und wie aus ganz vielfältigen, ganz unterschiedlich erzeugten Geräuschen dann ein Ganzes entstehen kann.

Dramaturgie ist das Stichwort für mich. Welchen Bogen hat die Szene auf der Tonspur?

Es gibt zwei Bögen, die sogar parallel laufen. Einmal natürlich der atmosphärische Wechsel insgesamt und dann die Ankunft der Kutsche mit dem Gevatter, einem Sechsspänner, die sich dann als konkrete Situation darstellt: Krabat wacht auf, es ist eigentlich totenstill. Er bemerkt nur, dass draußen sich irgendetwas leise abspielt. Er sieht wie sich die Burschen still aufbauen und mit ihren Fackeln da stehen. Und dann kommen plötzlich ganz neue, unheimliche Elemente aus der Ferne, die man überhaupt nicht zuordnen kann, die überhaupt nicht greifbar sind. Und die man dann erst zuordnen kann, wenn der Gevatter mit der Kutsche auftritt und man dann sieht, was sind die Pferde, die Peitsche, die Kutsche, das massive Holz, der Schlamm. Das zum Aufbau.

Der Film spielt ja in einer Mühle. Das Holz ist unheimlich wichtig und präsent, auch in den Szenen davor. Was kommt in dieser Szene jetzt Neues hinzu?

Holz ist tatsächlich sehr wichtig, weil in der Mühle alles aus Holz ist. Ich glaube, die ist sogar komplett ohne Nägel gebaut gewesen. Das Geschirr ist aus Holz, die Teller, die Türen, die Böden. Das haben wir versucht, im Ton umzusetzen. Ich habe mir dann immer eher nasses, vollgesogenes, schweres Holz vorgestellt. Also nicht so trockenes klingendes, sondern sumpfig morastiges Holz. So wie ein Schiff. Ja, vielleicht ist die Mühle in der Tonalität vergleichbar mit einem Schiff. Und was dann dazu kommt, die unheimlichen Elemente, die sind eigentlich völlig frei gestaltet. Das sind teilweise Geräusche von Quietschen bis Atemgeräusche. Der Geräuschemacher hat ganz irre Geräusche allein mit seiner Stimme erzeugt. Es gab vor der Bearbeitung auch eine lange Zusammenarbeit mit dem Geräuschemacher, wo wir uns speziell nur auf Effekte konzentriert und überlegt haben, wo man jetzt diese Wechsel darstellen oder welche Elemente man hinzufügen kann. Wir haben auch ganz viel Material nicht konkret zum Bild aufgenommen, sondern viel experimentiert mit abstrakten Geräuschen, die man dann vielfältig einsetzen kann. Das reicht vom Ziegelstein bis zu verschiedenem Metallquietschen, Reiben, sehr viel mit der Stimme. Da hat er ganz wahnsinnige Geräusche von sich gegeben.
Zum Beispiel die Pferde, wenn der Gevatter ankommt. Dieses Schreien, wenn sie gepeitscht werden, das ist mit menschlicher Stimme erzeugt. Ja, manchmal hört sich das vielleicht auch banal an, aber das ist wirklich viel Experimentieren. Das sind auch keine synthetischen Effekte. Das ist meistens gar nicht so spannend, mit irgendwelchen elektronischen Geräten herumzuexperimentieren. Das meiste ist wirklich mit verschiedenen Materialien entstanden, die man ausprobiert, alles handmade. Da braucht man einen guten Geräuschemacher mit einem großen Fundus an Elementen und Substanzen. Das muss man einfach Probieren und Finden und Suchen.

Was ist das Konzept für den Film gewesen? Welche Bewegung vollzieht der Ton und welche mit der Figur Krabat? Was ist das Tonkonzept insgesamt?

Ich weiß gar nicht, ob eine Entwicklung insgesamt stattfindet. Ich glaube, es ist mehr ein Wechsel zwischen den Szenen. Die Szenen sind ja sehr verschieden angelegt. Ob die jetzt objektiv und total das Leben in der Mühle darstellen, ob es eine subjektive Wahrnehmung von Krabat ist oder ob es Vollmondnächte sind, wo Magie im Spiel ist und die Mühle dann so eine ganz andere Präsenz hat als vorher. Aber das wechselt dann auch wieder. Der nächste Tag kann dann wieder ganz normal sein und das ist, glaube ich, auch bewusst so eingesetzt. Das es immer diese Inseln der Normalität gibt, wo nichts Außergewöhnliches stattfindet, um dann auch wieder abzukippen, in diese Übernatürlichkeit abzudriften. Manchmal gibt es dann auch kleine Elemente, die das dann ein bisschen überkreuzen oder das andeuten.

Welchen Zugewinn hat eigentlich der Ton für die Geschichte? Der Ton ist ja sehr dräuend. Man hat das Gefühl, das ist so ein wenig vor-shadowing, dass etwas passiert. Der Ton ist ja ein sehr unheilvoller.

Ja. Teils teils, würde ich sagen. Es gibt ja auch sehr schöne Szenen. Wenn die da im Sommer auf den Feldern arbeiten, dann ist das ja sehr positiv. Es ist Sommer auf dem Land. Was auch dem Film insoweit entspricht, dass er ja auch davon handelt, dass dieses Unheil ja nie ausgesprochen und immer verdeckt wird. Es geht ja auch darum, dass die Gesellen alle wissen, dass sie der Tod erwartet. Der Meister altert über jedes Jahr und dann kurz vor Neujahr verschwindet er, er fährt in seiner Kutsche weg. Und dann in der Neujahrsnacht muss immer ein Geselle sterben. Und dann kommt der Meister im neuen Jahr jung wieder zurück. Es muss also quasi jedes Jahr ein Bursche geopfert werden, um die Jugend des Meisters zu erhalten. Und das wissen natürlich die Burschen alle. Aber es wird nie ausgesprochen. Es gibt auch keine Kooperation zwischen den Jungs. Es ist immer so ein Gegeneinander, so ein Verschweigen und so ein unterm Deckmantel halten. Also deswegen haben vielleicht auch die positiven Sommerszenen etwas Dräuendes, weil darunter immer diese Gefahr und diese Bedrohung schlummert, selbst wenn es im Ton positiv ist oberflächlich. Das wird ja dann auch immer verwoben. Selbst wenn die Szenen unheimlich sind, gibt es ja immer noch natürliche Geräusche. Ich habe auch bei den Nachtszenen… Die hören sich teilweise sehr abstrakt an. Ich habe wirklich auch immer versucht, Geräusche und Atmosphären zu nehmen, die tatsächlich, also natürlich sein könnten. Also schreiender Rotfuchs bei Nacht und Kraniche – das hört sich schon extrem unheimlich und ungewohnt an, aber das sind keine ausgedachten Atmosphären. Alles aufgenommen und existent.

Man kann ja bei dem Film von einer Partitur des Tones sprechen. Es gibt mehrere Elemente, mit denen er arbeitet. Das sind die Stimmen, die auch verfremdet werden. Der Ton verhält sich aber auch sehr interessant in diesem Film zur Musik. Wie spielt da beides zusammen in diesem Film für Sie?

Ich finde es sehr interessant, weil die Musik auf den ersten Blick ja wie klassische Filmmusik wirkt. Großes Orchester. Aber gerade die Musik hat dann auch ihre Momente, wo sie abkippt in geräuschhafte Klänge. Und da verwebt sie sich sehr interessant mit dem Ton. Selbst mir war jetzt beim wiederholten Gucken gar nicht mehr so richtig klar, was kam da von der Musikseite und was war jetzt Tongestaltung. Das vermischt sich. Und das finde ich dann immer sehr interessant solche Momente.

Partitur auch insofern, als dass es Motive gibt, die immer wieder auftauchen. Zum Beispiel die Raben. Sie führen uns in diesem Film, sie sind sehr präsent. Sie verschwinden aber für eine Weile und kehren dann wieder. Gibt es auf der Ebene der Tongestaltung auch so ein Spiel, so ein Arbeiten, so ein Zurückhalten von Tönen?

Die Raben sind ja die Burschen, die sich verwandeln. Wenn die Burschen da sind, sind die Raben nicht da – und umgekehrt. Die Frage ist interessant, weil sich das ja Krabat auch fragt. Es gibt ja immer diese Momente, wo die Burschen weg sind, wo Krabat völlig allein durch die Mühle irrt und sich fragt, was los ist. Schon vor der Gevatter-Szene wird ihm klar, dass es da nicht mit rechten Dingen zugeht. Und es stimmt schon, dass in dieser Atmosphäre immer auch diese Rabenschreie auftauchen. Als bedrohliches Element, was sie ja letztendlich nicht sind, weil es ja sein Freunde sind, seine Mitgesellen. Hm, da habe ich mir noch gar nicht so Gedanken drüber gemacht [lacht]. Ist eigentlich ein interessantes Wechselspiel.

Wie sind Sie zu diesem Film gekommen? Was war für Sie der besondere Reiz, diesen Film zu vertonen?

Ich finde es beim Film immer wichtig, welche Grundatmosphäre, welche Grundelemente wichtig sind. Dazu muss ich mir auch immer erst angucken, wie das so inszeniert ist oder wie es auf mich wirkt. Ich muss ihn mir immer ein paar Mal angucken. Und bei KRABAT ist es ziemlich klar. Es geht um diese schlammig-hölzerne Mittelalter-Welt, wo alles im Morast versinkt und ganz schwerfällig ist. Einfache tägliche Tätigkeiten sind im Film immer mühevoll und müssen deshalb unterdrückt klingen. Das haben wir auch versucht, in jedem Detail  rüberzubringen. Jede Tür, jeder Holzlöffel, den er in die Hand nimmt – das ist immer unhandlich und schwer. Das ist für mich so die Grundstimmung, das Grundelement, das auf allem lastet, in allem enthalten ist.

Mich würde interessieren, ob sie das Drehbuch zur Vorbereitung nutzen. Nützt es was, das Drehbuch zu lesen?

Ich habe damit immer große Probleme, wenn ich ganz zu Anfang das Drehbuch kriege, ohne überhaupt irgendeine Szene gesehen zu haben. Wenn ich mir das Drehbuch durchlese, dann habe ich immer etwas im Kopf, was sich teilweise erheblich von dem unterscheidet, was hinterher dann im Film ist. Ich krieg das zwar immer sehr früh, ich guck da aber eigentlich nur rein, wenn’s sein muss. Ich will vorher mindestens ein paar Schlüsselszenen gesehen haben, um einen visuellen Eindruck zu bekommen, in welche Richtung das Ganze gedacht ist. Und an die kann man sich dann dranhängen, das Drehbuch auch lesen, um die Geschichte zu verstehen und weiß dann ungefähr, in welche Richtung das Ganze geht. Aber ich habe wirklich gemerkt, in was für eine falsche Richtung man da geraten kann und auf wie viele unterschiedliche Arten man so ein Drehbuch auch visualisieren oder umsetzen kann. Ich finde es immer gefährlich, zu früh zu abstrakt einzusteigen. Ich will immer erst ein Gefühl dafür kriegen, was der Regisseur selber für Empfindungen dabei hat. Letztendlich muss das am Ende ja ein Ganzes ergeben, vom Bild und vom Ton. Da können falsche Ideen auch sehr schädlich sein.

Wie viel Zeit haben Sie den für den Ton?

Das ist ganz unterschiedlich, man arbeitet ja am Ende der Kette und meistens ist die Zeit extrem knapp, das ist manchmal doch sehr anstrengend. Eine Dokumentation kann man in drei Wochen machen. Kinofilm geht eher so ab zwei Monate los. Für KRABAT war es wesentlich mehr Zeit. Da habe ich auch mehr Sachen selbst gemacht. Normalerweise wird das auf ein Team verteilt, also O-Ton-Schnitt, Atmosphären, Geräusche. Bei DAS PARFUM haben wir, glaube ich, mit sechs Sounddesignern dran gearbeitet. Bei KRABAT war das so, dass sie ein Problem mit dem Schnee hatten, der nachträglich komplett per Videoeffekte in den Film rein geschnitten werden musste nachträglich, weil es einfach nicht geschneit hat. Deswegen gab es zwischen Fertigstellung des Schnitts und Mischung einen sehr langen Zeitraum. Da hatte ich, glaube ich, ein halbes Jahr Zeit für den Film. Was dann natürlich toll ist. Man kann natürlich ganz viel ausprobieren und auch mal andere Wege gehen, als sonst.

Sie haben sehr unterschiedliche Filme gemacht. Aber ein gleichbleibendes, interessantes Element sehe ich. Bei den letzten beiden Filmen von Christian Petzold YELLA und JERICHOW, da gibt es auch im Ton so ein Übergleiten in eine vielleicht andere Welt, in eine andere Realität. Ist das so etwas, was Sie in der Arbeit der Tongestaltung interessiert, so dieses Schwellen überschreiten?

Ja, klar. Das ist natürlich immer spannend, wenn man solche Wechsel oder Fokussierungen hat. Oder Wechsel von objektiver in subjektive Wahrnehmung. Oder irgendwelche Situationen, die sich dann aus einer bestimmten Sicht ganz anders darstellen und sich verändern. Ich bin ein großer Freund von sublinearer Tongestaltung. So Effektfilme sind weniger mein Ding. Da gibt es, glaube ich, auch Leute, die das besser können als ich. Mir liegt eher das Atmosphärische mit kleinen Details. Ganz unbemerkt Spannungsfelder schaffen und verändern oder ganz umstülpen. Das ist tatsächlich etwas, was ich sehr spannend finde.

Was zeichnet einen guten Tongestalter aus? Was sollten seine besonderen Qualitäten sein?

Natürlich ein gutes Ohr. Gute Ideen. Experimentierfreudigkeit. Aber auch die Bereitschaft oder Fähigkeit zu so einer Teamfähigkeit, die natürlich in dem Ziel besteht, am Ende so eine Ganzheit zu erzeugen. Falsche Eitelkeit ist da sehr fehl am Platze, wenn man tolle Ideen hat und die unbedingt durchsetzen will. Es kommt immer darauf an, dass der Film am Ende ein Ganzes ergibt. Ich finde es immer am besten, wenn man am Ende gar nicht mehr unterscheidet, was hat jetzt der Schnitt oder die Kamera oder der Ton beigetragen, sondern wenn es als Ganzes wirkt und was Ganzes ergibt am Ende. Wenn dann in der Premiere jemand auf mich zukommt und sagt ‚Mensch, toller Ton! Vor allem die Stelle…‘, dann denke ich immer, da habe ich irgendetwas falsch gemacht. Denn das darf nicht sein. Es muss immer ineinander greifen und insgesamt etwas ergeben. Nie sich lösen und behaupten, etwas Eigenständiges zu sein. Der Film ist immer ein Zusammenspiel von mehreren Sinnen, von mehreren Ebenen, von mehreren Schichten, die eigentlich untrennbar verschmelzen müssen.

Wer ist neben dem Regisseur im Team der wichtigste Partner?

Ja, die Menschen, mit denen ich zu tun habe, sitzen in der Produktion, mein Ansprechpartner in der Herstellungsleitung und Produktionsleitung. Aber jetzt konkret auf den Film bezogen, besteht natürlich immer eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem Cutter,  von dem ich ja den Film so unfertig übernehme und quasi komplettieren muss. Mit dem Musiker muss man auch sehr eng zusammenarbeiten, weil man sich auch austauschen muss. Wer macht was? Wo wird die Musik dominieren? Damit man sich mit den Tönen an bestimmten Stellen etwas mehr zurückhält. Oder wo greift es ineinander? Wo können beide Seiten etwas beitragen? Ich finde es immer sehr schön, möglichst frühzeitig involviert zu werden in die Projekte, also vor dem Dreh. Und mich dann auch schon mit dem Tonmann am Set abzusprechen, was ich für meine Arbeit wichtig finde. Da gibt es auch verschiedene Präferenzen, was zusätzlich an Tönen aufgenommen werden soll am Set. Und wie die aufgenommen werden sollen. Für KRABAT fand ich es zum Beispiel sehr wichtig, ein Second-Unit-Tonteam zu haben, was speziell mehrkanalige Naturatmosphären aufgenommen hat. Der Film wurde ja in den rumänischen Karpaten aufgenommen, wo in 50km Umkreis keine Straßen, keine Zivilisation ist. Das hätte ich schrecklich gefunden, wenn man den Wald nicht, so gut wie möglich, mehrkanalig aufgenommen hätte. Das sind natürlich ganz besondere Geräusche. Das ist eigentlich nur Rauschen, aber es ist schon so ein ganz spezielles, detailliertes Waldrauschen. Ich wüsste nicht, wo man hier in Deutschland so etwas aufnehmen kann. Da war wirklich einer dann auch mehrere Tage unterwegs und hat dazu beigetragen, dass durch die Atmosphären auch so eine Weite erzeugt werden kann. Es ist immer wichtig, dass man vorher mit dem Regisseur spricht. Das muss nicht lang sein, aber man sollte sich vorher gemeinsam mit ihm und dem Tonmann zusammensetzen und absprechen, was gewünscht und wichtig ist, was man an Details vielleicht nicht braucht. Was man lieber selber macht. Ja, und am Ende wird das Ganze dann natürlich in die Mischung überführt. Das ist dann nochmal ein komplett neuer Arbeitsprozess. Die Tonmischung, wo dann auch das Ganze, was sich die Sounddesigner und Soundeditoren ausgedacht haben, nochmal auf dem Prüfstand steht und vom Tonmeister in der Mischung dann wirklich zu dem endgültigen Ganzen geformt werden muss. Wo sich dann teilweise auch herausstellt, was dann doch nicht so funktioniert oder anders besser funktioniert. Das ist dann eigentlich nochmal so ein weiterer Entstehungsprozess des Tons. Es sind eigentlich die drei Entstehungsprozesse des Tons: Der Ton am Set, wie der aufgenommen wird. Dann meine Arbeit, die Tongestaltung, also Tonkonzept, Atmosphären, Effekte, O-Ton-Bearbeitung, auch Nachsynchronisieren von Stellen, die nicht brauchbar sind, geräuschsynchron. Und dann die Mischung, wo das Ganze dann auch mit Musik und allen Elementen zum fertigen Film geformt wird. Und das ist auch das Tolle an meinem Beruf, dass man dann dabei ist, wenn der Film fertig ist. Das ist auch immer eine ganz besondere Situation, wenn man dann noch einmal am Ende guckt, noch ein paar Korrekturen macht und weiß, so kommt der jetzt ins Kino!

Was ist Ihrer Ansicht nach die beste Ausbildung, der beste Zugang zu diesem Beruf?

Tja, schwer zu sagen. Es gibt diese Ausbildung ‚Mediengestalter Bild und Ton‘, die es noch nicht gab, als ich damit angefangen habe. Es gibt einen sehr guten Studiengang an der HFF in Potsdam. Und es gibt die Möglichkeit, quer einzusteigen und sich selber seine Lehrmeister zu suchen und quasi in einer praktischen Ausbildung zu lernen. So habe ich das gelernt vor 15 Jahren.

Wie war Ihr Werdegang?

Mein Werdegang war so, dass ich in Berlin parallel zu dem Studium, was ich damals angefangen hatte, für einen Tonkünstler gearbeitet habe. Erstmal nur als studentische Hilfskraft. Der hat Klanginstallationen gemacht, also Räume mit Licht und Ton, mit Skulpturen oder Installationen verändert. Und über diesen Künstler bin ich dann an ein Studio geraten, was in Dortmund ganz neu aufgemacht hatte, was weltweit ein Referenzstudio war, weil es das erste Studio war, das komplett digital ausgestattet war und wirklich die ganze Postproduktion komplett digital, also Bildschnitt, Tonbearbeitung, Mischung auf digitaler Ebene angeboten hat. Da bin ich reingeraten, erst mit einem Praktikum, dann gleich festangestellt worden. Dort habe ich auch meine Lehrmeister, von denen ich alles weiß, kennengelernt, Mathias Lempert und Martin Steyer, den Mischtonmeister. Und das sind so meine Wurzeln. Dann bin ich hier nach Berlin zurückgekehrt, habe mich selbständig gemacht.

Was haben Sie da gelernt, was wichtig für Ihre jetzige Arbeit ist?

Eher so die künstlerische Herangehensweise. Die Technik ist gar nicht das Entscheidende. Das kann man sich ziemlich schnell aneignen. Es ist auch gar nicht so kompliziert zu bedienen. Ich finde es wichtig, sich wirklich den Blick darauf zu erarbeiten. Zu versuchen, es zu durchdringen oder eine Idee zu entwickeln, was man daraus machen möchte. Und sich zu erarbeiten wie man dann dort hinkommt, wie man das daraus macht, was man daraus machen möchte.

Haben Sie einen bestimmten Film im Kopf, der für Sie eine sehr besondere Tongestaltung hat?

Ich versuche eigentlich immer, gar nicht auf den Ton zu achten, wenn ich mir einen Film angucke. Ich will immer, dass der Film insgesamt funktioniert und mir gefällt. Ich weiß auch nicht, ob ich jetzt einen bestimmten Stil habe. Ich versuche, immer ganz schnell zu vergessen, wie ich einen bestimmten Film gemacht habe, weil ich mich eigentlich darauf freue, den ein halbes Jahr später bei der Premiere, hoffentlich so sehen zu können, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnere, wie jetzt jedes einzelne Geräusch entstanden ist, sondern das mal auch als Gesamtheit wahrzunehmen. Ist ja auch immer ein großes Problem, dass man sich gerade bei Ton sehr auf Dinge fixieren kann mental und die dann ganz anders wahrnimmt, als sie wirklich sind. Man kann sich ja immer auf Einzeltöne einschießen, die einen dann plötzlich stören, obwohl die für jemanden, der das zum ersten Mal hört, überhaupt nicht störend sind. Das ist ein ganz verflixter Sinn, der Hörsinn. Der ist so elementar, aber auch schwer distanziert zu betrachten. So objektiv, das geht eigentlich gar nicht. Es ist immer subjektiv. Jeder nimmt eine Sache auch völlig anders wahr und verbindet andere Sachen damit. Anders als bei Bild, wo man doch so eine klare Formensprache entwickeln kann. Nein, da muss ich leider enttäuschen. Da fallen mir jetzt keine speziellen Filme ein.

Es ist natürlich schön, dass Sie als Kinogänger sozusagen wieder in die Unschuld zurückfallen können.

Ja, das ist aber schwer. Als ich angefangen habe mit dem Job, war es wirklich so, dass ich ins Kino gegangen bin und teilweise die Geschichte gar nicht mehr verfolgt habe, sondern nur noch in die Töne eingetaucht bin: Was ist hier? Da tropft ein Wasserhahn, da schreit ein Vogel usw. Katastrophe! So will man sich doch keinen Film angucken! Das darf nicht sein. Das war auch ein Training, sich das wieder abzutrainieren und alles so sein zu lassen, wie es ist, und alles als Ganzes wahrzunehmen.

Ich hatte zum Beispiel ein irres oder ganz merkwürdiges Tonerlebnis als ich DAS WEISSE BAND gesehen habe. Guillaume Sciama ist ja einer der ganz Großen in Frankreich und ich habe gedacht, ich habe so viele unterschiedliche Arten von Stille noch nie gehört wie in diesem Film.

Ja, das stimmt. DAS WEISSE BAND hat mich auch sehr beeindruckt. Vor allem das Erzeugen von so einer gehaltvollen Stille ist auch das Schwerste, was es überhaupt gibt. Da besteht leider das Problem, das in der Mischung dann so umzusetzen, wie man es gern machen möchte. Weil natürlich für einen Regisseur, der nur den Dialog im Schnitt gehört hat ohne irgendwelche Atmosphären, für den ist jedes Element, was dann dazukommt, gleich eine Katastrophe. Und das wird immer sofort abgemeldet. Nein, darf nicht sein. Und dann passiert es leider oft, dass der Film dann nicht still wird in dem Sinne, dass der Film substanziell still wird, sondern dass dann da einfach nichts ist. Das ist dann auch schlimm. Weil Stille kann wahnsinnig viel sein. Und eigentlich ist Stille immer nur das, was man überhört, aber das kann trotzdem ganz viel sein. Und das ist auch immer die Frage, wie konditioniert man den Zuhörer im Film. Und was für eine Art von Grundlage etabliert man und wie kann man dann damit umgehen. Jeder kennt das. Ich wohne zum Beispiel an einem Platz, den ich eigentlich für sehr ruhig halte in Berlin. Einmal war der komplett abgesperrt, weil es irgendeinen Staatsbesuch gab und da ist mir das erste Mal aufgefallen, wie still es da dann doch noch werden kann. Obwohl ich eigentlich schon vorher dachte, da ist eigentlich nichts. Und dann war da noch viel weniger als Nichts. Und genau das kann man dann auch in Filmen erzeugen. Das haben wir zum Beispiel in REQUIEM versucht, von Hans-Christian Schmid. Da ist wahnsinnig viel los im Film im Ton, obwohl es eigentlich die ganze Zeit still wirkt.

Was ist Kino?

Kino ist Geschichten erzählen oder umsetzen. Ja. Die Interpretation und Umsetzung einer Geschichte oder von Ideen und Zuständen.

Wenn Sie nicht Sounddesign machen würden, welchen anderen Beruf im Kino könnten Sie sich vorstellen auszuüben?

Ich bin nicht so der Set-Mensch. Ich bin zwar ab und zu, also ganz gelegentlich, mal am Drehort, falls da irgendwelche Fragen auftreten. Aber das ist nicht so meine Welt mit Hunderten von Menschen, sich zu arrangieren. Ich bin so mehr der Tüftler, der in seiner eigenen Kammer sitzt und Sachen ausprobiert. Auch mal liegen lässt und etwas anderes macht. ... Ich finde meinen Beruf eigentlich toll! Ich möchte nicht mal gerne Mischtonmeister sein, weil das ist mir auch schon zu konsequent und streng von den Vorgaben. Da hat man so seine Mischzeiten, die eingehalten werden müssen. Ich bin ja auch dabei bei der Mischung, aber das jetzt nur zu machen…? Das wäre auch nicht so meins. Ich habe eher das Problem, dass ich in der letzten Zeit den Wunsch hatte, etwas ganz anderes zu machen. Was überhaupt nichts mit Kino zu tun hat. Um irgendwie ein Gegengewicht dazu zu bekommen. Und habe jetzt nochmal ein Studium angefangen. Ein Jura-Studium. Und hoffe, dass ich das durchhalte. Weil es ziemlich anstrengend ist. Aber ich will parallel natürlich noch weiterarbeiten, weil es mir eigentlich doch ziemlich viel Spaß macht.

Das Gespräch führte Gerhard Midding. 

Der Tongestalter Dirk W. Jacob hat sein Metier bei Meistern des Fachs wie Hans Peter Kuhn, Matthias Lempert und Martin Steyer gelernt. 1995 debütiert er mit FÜR IMMER UND IMMER im Kino.

Am Häufigsten arbeitete er mit den Regisseuren Marco Kreuzpaintner, Christian Petzold, Hans-Christian Schmid und Tom Tykwer.

Drei Mal hat er bislang einen Deutschen Filmpreis gewonnen: für REQUIEM (2006), DAS PARFUM (2007) und TRADE (2008).

In Kooperation mit filmportal.de

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