MASSAI-GESÄNGE, KALIMBA UND GROSSES ORCHESTER
Wie der Filmkomponist Niki Reiser die Klangwelt von NIRGENDWO IN AFRIKA erfand
„Die Musik erzählt, was man durch Schauspiel, Bild oder Schnitt nicht erzählen kann. Sie ist wie das Blut oder der Herzschlag der Geschichte.”
Glossary
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Click-Track
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Wenn ein fertig geschnittener Film mit Musik unterlegt werden soll, hilft ein auf dem Kopfhörer übertragener Klick-Ton den Musikern und dem Dirigenten, die Musik bildgenau auf den Film abzustimmen. Dabei ist der Klick nicht zu verwechseln mit einem Metronom, das immer gleichbleibend einen Takt schlägt. Es handelt sich hierbei um Klicks, die die Abfolge der Bilder taktet.
(9:56)
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Layout
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In der Filmbranche spricht man von einem Layout, wenn eine Musik, ein Visual FX oder ein Soundeffekt noch in einer unvollendeten, skizzierten Version geliefert wird. Das Layout ist in seiner Komposition noch nicht endgültig und dient der Regie als Vorgeschmack auf die Wirkung.
(14:46)
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Set
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Unter Set versteht man den Aufnahmeplatz innerhalb eines Drehortes
(6:34)
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Source-Musik
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Source-Musik greift auf bereits bestehende Musiktitel zurück. Das kann im Rahmen von On- Musik, d.h. Musik, die in der Handlung des Filmes und für die Charaktere wahrnehmbar ist (z.B. eine Hauptperson singt auf der Bühne, Musik aus einem Radio etc.) geschehen, oder auch mit Hilfe von Off- Musik (Musik wird auf die Sequenz geschnitten und unterstützt die zu erzielende Wirkung). Mit Hilfe von Source-Musik lassen sich Stile, Gefühle und Geschmäcker des dargestellten Zeitgeists vermitteln. Aus der Source-Musik wird häufig auch ein Soundtrack zu Vermarktungszwecken geschaffen.
(12:18)
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Timing
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Timing bezeichnet beim Filmschnitt und in der Montagetheorie den Zeitpunkt des Ausstiegs aus einer Einstellung und den Zeitpunkt des Einstiegs in eine neue Einstellung an einer Schnittstelle und die dadurch entstehende Andauer der montierten Einstellung.
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dissonant
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(lat.) nicht harmonisch zusammenklingend
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episch
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erzählend, erzählerisch
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musikalisches Thema
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(engl. theme) In der Filmmusik versteht man unter einem Thema eine charakteristische oder charakterisierende Melodie.
(9:12)
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- Unverfilmbar
- Lorem ipsum dolor sit
- Filmausschnitt
- Interview mit Niki Reiser
- Von der Jazzschule zur Filmmusik
- Lernen bei Ennio Morricone
- Zufällige Begegnungen
- Die Reise nach Kenia
- Afrika und Europa, verbunden durch Bögen
- Das musikalische Thema finden
- Orchesterbegleitung zu Stimmen aus Afrika
- Eine neue Erfahrung für die Geiger
- Musik, Respekt und Liebe
- Katalysator gegen Ideenstau
- Musikgeschmack der Regisseure
- Arbeiten mit Freunden
- Der Spaß bei ALLES AUF ZUCKER
- Wie wird man ein(e) gute(r) Filmkomponist(in)?
- DIE BLEIERNE ZEIT
- Nino Rota
- Was ist Kino?
- Wie wäre es mit einem anderen Filmberuf?
- Interview mit Niki Reiser
- Filmausschnitt
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Unverfilmbar
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Lorem ipsum dolor sit
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Von der Jazzschule zur Filmmusik
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Lernen bei Ennio Morricone
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Zufällige Begegnungen
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Die Reise nach Kenia
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Afrika und Europa, verbunden durch Bögen
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Das musikalische Thema finden
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Orchesterbegleitung zu Stimmen aus Afrika
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Eine neue Erfahrung für die Geiger
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Musik, Respekt und Liebe
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Katalysator gegen Ideenstau
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Musikgeschmack der Regisseure
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Arbeiten mit Freunden
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Der Spaß bei ALLES AUF ZUCKER
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Wie wird man ein(e) gute(r) Filmkomponist(in)?
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DIE BLEIERNE ZEIT
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Nino Rota
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Was ist Kino?
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Wie wäre es mit einem anderen Filmberuf?
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Interview mit Niki Reiser
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Filmausschnitt
- Filmausschnitt
- Interview mit Niki Reiser
Interview mit Niki Reiser
Als der Komponist Niki Reiser von der Regisseurin Caroline Link den Auftrag bekam, die Filmmusikfür NIRGENWO IN AFRIKA zu schreiben, war es ihm ein großes Bedürfnis, zum Drehort nach Kenia zu fahren, dort afrikanische Musik zu hören und afrikanische Musiker zu treffen. Das Ergebnis dieser Studien floss direkt in seine Filmmusik ein: Man hört darin afrikanische Instrumente, die für westliche Ohren faszinierend ungewohnt klingen, und Massai-Chöre, die Reiser während der Dreharbeiten in einem nahegelegenen Dorf selbst aufgenommen hat.
Die Szene
Es beginnt mit dem schwerkranken deutschen Auswanderer Redlich (Merab Ninidze), der in Kenia von seinem Diener Owuar (Sidede Onyulo) gepflegt wird. Leise pochend deutet sich das Thema der Musik bereits an. Dann verlagert sich die Handlung nach draußen, ein Flug über den Busch, die Musik schwillt an, die Kamera fliegt weiter auf das Schiff im Meer zu, das Redlichs Frau Jettel (Juliane Köhler) und seine Tochter (Lea Kurka) nach Afrika bringt. In diesem Moment geht die Musik in schwermütige europäische Klänge über – die brillante musikalische Verbindung von zwei Welten und Kontinenten, die im Film später aufeinanderprallen werden.
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Wie hat sich Ihr Interesse für Musik entwickelt?
Ich habe Flöte gespielt als Kind. Und eigentlich war der Auslöser für mich die “Zauberflöte“ von Mozart. Ich habe dann einfach gesagt: Ich will diese Zauberflöte spielen. Ich wusste gar nicht mal richtig, wo das in der Oper vorkommt. Aber ich glaube, das war für mich bereits ein Einstieg ins Theatralische, Musik war für mich immer Zauberei. Als Kind wollte ich eigentlich lieber Piano spielen, aber alle meine Geschwister haben schon Klavier gespielt. Ich habe schon als Kind immer improvisiert. Ich habe eigentlich schon mit neun, zehn so kleine Sachen komponiert. Nicht so richtig ausgereift, aber eigentlich war für mich Musik schon immer selber Musik machen, also nicht reproduzieren. Ich habe mich immer wahnsinnig schwer getan, nach Noten zu spielen. Und ich glaube, das war für mich auch ein Auslöser, schlussendlich irgendwo in der Filmmusik zu landen.
Können Sie sich daran erinnern, wann Musik und Film in Kombination Sie zum ersten Mal beeindruckt haben?
Das war, glaube ich, SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, aber eigentlich über die Hitparade. Ich weiß nicht, wie alt ich da war. Wann war das? Siebzig? Ich glaube, 1969. Da war ich so elf, und mein Bruder hat das Lied immer im Radio gehört, auch in der Hitparade. Mich hat es immer ein bisschen geschauert. Ich kannte den Film gar nicht, aber das war so eindringlich, dass das die erste Filmmusik war, die ich bewusst mitbekommen habe – und dann natürlich auch verbunden mit dem Bild sehr stark fand.
Sie haben den Film dann auch angeschaut?
Ja, allerdings erst Jahre später. Mit elf durfte ich noch nicht.
Was war das für ein Gefühl, zum ersten Mal die Bilder zu der schon bekannten Musik zu sehen?
Das hat die Bilder riesig gemacht, weil natürlich die Musik selber schon so einen riesigen Raum auslöst. Und als dann noch das Bild dazukam, hat sich das dann natürlich verdoppelt, also für einen Teenager, wie ich einer war. Das ist auch immer noch das, was ich selber anstrebe und worum ich immer bei mir ringe. Oft fühlt man sich ja so klein, wenn man was macht, und ringt um die Größe.
Und die Idee, auch selber Filmmusik zu machen, wann ist die entstanden?
Ich war in Amerika auf einer Jazzschule, ich wollte eigentlich Jazzmusiker werden. Aber da gab es noch ein Hauptfach Filmmusik, und ich habe das dann einfach gewählt, weil es am meisten angeboten hat. Ich habe das auch abgeschlossen, bin dann aber in die Schweiz zurückgekehrt und habe dort eigentlich nur Jazz gespielt. Dani Levy war es, der mich gefragt hat, ob ich seinen Film vertone [DU MICH AUCH]. Er hat mich auf einer Party spielen gehört und fragte einfach: Willst du die Musik zu meinem Film machen? Und ich: Ja, ja, können wir es probieren. Es war eher so, dass wir beide so reingestolpert sind. Es war also keine verbissene Berufswahl, oder dass ich wirklich immer davon geträumt hätte, das zu machen.
Wie war Dani Levy damals so drauf? Er hatte ja auch noch keinen Film gemacht.
Also Dani hatte angefangen einen Film zu drehen und wusste nicht, was ein Achsensprung ist, und musste sich diese Sachen immer irgendwie auf dem Set erklären lassen. Er hat es einfach so gemacht, wie er dachte, wie man es machen muss. Und das war bei der Musik eigentlich dasselbe – ich hatte keine Ahnung, wie man Timings berechnet. Und trotzdem haben wir es geschafft, das Musik irgendwann auf dem Zelluloid war.
Hat Dani Levy Sie gleich beeindruckt mit seinen Ideen und der Art, wie er das alles angehen wollte?
Was mich beeindruckt hat, ist, dass Dani ein Regisseur ist, der Leute größer macht. Ich war wahnsinnig nervös, weil ich eigentlich immer mit drei Freunden zusammengearbeitet habe, und das war das erste Projekt, das ich allein machen musste. Und Dani ist einfach jemand, ein Regisseur, der sämtliche Leute in sämtlichen Sparten – bei Kamera, bei Schnitt und überhaupt – motiviert und größer macht und eigentlich immer glücklich ist über das, was er bekommt, auch wenn er mal etwas kritisiert. Für mich war es auch eine neue Erfahrung, dass Stücke von mir zurückgewiesen werden. Beim Film ist das ja anders, als wenn man eine eigene Band hat. Deshalb habe ich von Dani Levy sehr viel gelernt.
Sie haben Ennio Morricone kennengelernt. Wann war das?
Ennio Morricone habe ich bei einem Workshop kennengelernt. Das war ein einwöchiger Workshop, und da hat man eigentlich auch die ganze Zeit mit ihm verbracht, auch abends beim Essen. Was mich dabei überrascht hat: Ennio Morricone ist gar nicht so ein denkender Mensch. Also sicher denkt er sich auch Sachen aus, natürlich beim Komponieren, aber es ist nicht so, dass er sich groß Gedanken macht: Muss ich hier rein und hier wieder raus? Wir mussten alle ein Stück komponieren, und ich habe immer Pausen eingebaut, bin wieder reingegangen, und er hat dann gesagt: Ach was, geh einfach durch mit der Musik, von Anfang bis Ende. Bau einen Ausdruck rein – und nicht immer stoppen und wieder reingehen. Ich habe von ihm dort gelernt, dass man zu einer einfachen Idee stehen muss und nicht die Idee schon zerstückeln und mit jedem Gedanken das eigene Werk angreift oder zerstört, sondern dass man sich auf einen Gestus einigen muss und zu dem dann auch stehen.
Wie sehr seine Westernmelodien viele Menschen geprägt haben und wie unerreicht er heute noch ist, das hört er gar nicht so gern, oder?
Nein, er wäre lieber ein anerkannter Komponist neuer Musik. Ich kann mir auch vorstellen, dass er das zu der Zeit wirklich aus dem Ärmel geschüttelt hat. Es war jetzt nicht so, dass sein Leben an der Musik hing. Und es kann auch sein, dass viele von den Ideen auch von Sergio Leone kommen, dass das nicht nur durch Morricone entstanden ist. Aber ich glaube schon, dass er denkt: Das ist mir so einfach gefallen, ich habe irgendeine Musik gemacht, und die ist jetzt eben groß geworden. Er wäre schon gerne anerkannt als seriöser Komponist.
Ob eine Musik für die Ewigkeit entsteht, das hängt also nicht unbedingt von der Anstrengung des Komponisten ab? Manchmal entstehen solche Melodien quasi nebenbei?
Ich glaube, der Moment der Inspiration ist immer unfassbar. Da handelt es sich wirklich jeweils nur um Sekunden. Und ich kenne beides. Es gab Motive, die waren plötzlich da. Und dann musste ich eigentlich nur noch erkennen, dass es gut ist. Es gab aber auch Motive, die ich wirklich wollte und die wochenlang nicht kamen. Und ich wusste: Irgendwas suche ich, weiß aber nicht, was. Und das kann dann schon quälend sein. Das sind oft auch die guten Sachen, weil man wirklich so etwas Unbewusstes dann plötzlich formt.
Wie muss man sich Ihre Arbeitsweise generell vorstellen? Können Sie schon mit dem Drehbuch was anfangen? Gibt es da bereits die ersten Ideen, oder brauchen Sie den fertigen Film?
Hm, also gerade mit Dani hören wir oft schon, bevor er dreht, Musik an, und ich probiere dann Sachen aus. Es ist schon passiert bei Filmen, dass ich irgendein Stück auch mal mit Wechseln – also Tempo und plötzlich langsam – schon vorher komponiert habe und dass die dann Monate oder ein Dreivierteljahr später plötzlich perfekt in eine geschnittene Szene passen. Ich erlebe auch oft, dass ich eine andere Vorstellung vom Film habe und wenn ich ihn dann geschnitten sehe, ist er eigentlich ganz anders. Also meistens brauche ich schon das Bild, um da wirklich weiterzukommen
Und wie entstehen die ersten Ideen? Wenn Dani Levy zum Beispiel kurz die Geschichte umreißt, formen sich da schon musikalische Themen? Oder muss man die einzelnen Charaktere erst genauer kennen?
Für mich ist Filmmusik eigentlich immer die Geschichte. Mein Ziel ist, dass die Filmmusik in ihrem Kern die Essenz der Geschichte darstellt. Die Musik erzählt, was man durch Schauspiel, Bild oder Schnitt nicht erzählen kann. Sie ist wie das Blut oder der Herzschlag der Geschichte. Daher reicht schon ein Drehbuch. Damit man sich entscheiden kann: Was für einen Motor braucht die Geschichte? Braucht sie einen Puls, braucht sie etwas Ausgebreitetes, Episches, braucht sie was Hibbeliges? Von dort aus setzt man dann die weiteren Elemente dazu.
Sie scheinen musikalisch sozusagen ein Weltreisender zu sein, der musikalische Einflüsse von überall her gern aufnimmt und sie in ganz verschiedenen Situationen, ganz verschiedenen Filmen verarbeitet. Wie gehen Sie da vor?
Ich finde, jeder Film, jeder Regisseur ist eine eigene musikalische Welt. Ich frage die Regisseure auch immer, was sie für Musik mögen, weil ich glaube, dass von jedem Regisseur ja auch ein bisschen Persönliches im Film steckt. Und man muss immer ausloten: Was ist für einen Dani Levy dissonant, und was ist z. B. für einen Andreas Kleinert dissonant? Also Andreas Kleinert, der vielleicht ganz andere Musik hört und vielleicht ein bisschen auch modernere Klassik, und Dani Levy, der auf emotionale Musik steht und eher hörbare Musik – da muss man sich eigentlich erst mal beim Musikgeschmack von den Regisseuren ein bisschen umhorchen. Die meisten haben auch Lieblingsbands, die ich hör mir dann auch an. Und dadurch lerne ich schon viele neue Sachen kennen. Und wenn es dann natürlich noch um Filme wie NIRGENDWO IN AFRIKA geht, bei denen ich gezwungen bin, mich mit afrikanischer Musik auseinanderzusetzen, ist das natürlich um so besser.
Sammeln Sie auch Weltmusik-Erfahrungen ohne konkreten Auftrag für einen Film – einfach, um andere Register im Hintergrund zu haben?
Ja, klar. Ich frage auch immer wieder Leute: Was gefällt dir noch, was hörst du? Auch Komponistenkollegen: Wie machst du das, wie stellst du so etwas her? Und natürlich hat Weltmusik auch immer mit Welten zu tun, sodass sich neue Türen aufmachen. Für mich sind Filme auch Welten. Daher ist es auch interessant rauszufinden, was irgendein russischer oder mongolischer Sänger mit seiner Gitarre macht und wie das klingt, wenn er sie spielt. Es geht also auch darum, sich wegzureißen von dem, was man gewohnheitsmäßig immer macht. Als ich mit Dani angefangen habe, Filme zu machen, war ich schon noch der Jazzmusiker, wenn man sich z.B. JENSEITS DER STILLE anschaut, wo es plötzlich so klassisch wird. Das war fast eine Übersetzung von dem, was ich mache, in den Film hinein. Das waren noch achtziger Jahre, in denen gerade das Saxofon groß war. Saxofon hört man zum Beispiel heute gar nicht mehr, aber damals war das Saxofon immer noch das hippe Instrument. Ich habe fünf Stücke gemacht für ihn, habe sogar, da gab es noch keine Sequenzer, alles live aufgenommen, also für die Skizzen auch eine Band zusammengetrommelt – und dann fand Dani alle fünf Stücke nicht passend für den Film. Das war dann der erste Schritt in die Filmmusik: dass ich meine Musik übersetzen musste, auch auf Bild und auf Inhalt von einem Film.
Der Film brauchte aber so eine jazzige Qualität?
Hm ja, schon! Ich glaube, bei Dani geht es auch oft darum, dass Film ein Lebensgefühl ist, also dass eine Musik nicht nur ganz exakt beschreibt, was in der Handlung passiert. Dani mag es immer, wenn man einfach tanzen kann. Er hat gesagt: Ich möchte, dass der Film so anfängt, dass die Leute Lust haben zu tanzen. Und das finde ich eigentlich auch toll. Musik soll ja nicht nur im Film unterstützen, dramatisch sein, sondern sie soll auch ein Lebensgefühl auslösen, das sich dann wieder mit dem Film verbindet.
Es fällt auf, dass Sie immer wieder mit denselben Regisseuren zusammenarbeiten. Ist das wichtig für Sie?
Für mich ist es wahnsinnig wichtig, beim Film auch Freundschaften aufzubauen. Und ich freue mich eigentlich jedes Mal, wieder zu Dani zurückzukehren, dann freu ich mich auch, zu Caroline zurückzukehren – es gibt nichts Schöneres, als mit Freunden einen Beruf auszuüben. Und eigentlich reicht es fast: Wenn man drei, vier, fünf Regisseure hat, hat man eigentlich schon genug Arbeit. Und ich find das wahnsinnig toll: Wenn ich mit Caroline arbeite, weiß ich schon, was mich erwartet, und dasselbe mit Dani.
Heißt das, dass es schwierig ist für andere, neue Regisseure, Sie zu buchen oder für ein Projekt zu gewinnen? Die alten Freundschaften gehen vor?
Ja, wenn jetzt Dani und Caroline einen Film machen, haben sie immer Priorität. Aber es ist natürlich auch spannend, neue Leute kennenzulernen. Es gibt zum Beispiel Regisseure, wie den Andreas Kleinert oder Marco Kreuzpaintner, mit denen ich auch Lust habe zu arbeiten, weil ich weiß, da hat sich mit einem Film schon eine Freundschaft entwickelt.
Wie kam die erste Begegnung mit Caroline Link und JENSEITS DER STILLE zustande?
Die Begegnung mit Caroline Link war eigentlich auch ein Zufall wie mit Dani. Ich habe Dani in Berlin besucht – ich wohne ja in der Schweiz –, und wir waren in irgendeiner Bar, “Dschungel“ heißt die, glaube ich. Und da war eine Filmschule-Abgängerin, Caroline, die gesagt hat: Ich schreib gerade meinen ersten Film. Es geht um Klarinette. Und ich sagte: Ah, ich spiel in einer Klezmerband, ich habe da einen tollen Klarinettisten. Und das war eigentlich schon der Auslöser, dass sie mich gefragt hat: Machst du die Musik zu meinem Film? So ähnlich also wie bei Dani und auch ein Zufall.
Diese Klezmerband, war die da gerade neu gegründet?
Die gab es schon eine Weile.
Wie kam sie zustande? War das so ein spezielles Interesse für jüdische Musik?
Nein. Erst war es ein Brotjob. Wir haben auf jüdischen Hochzeiten gespielt, und eigentlich habe ich Klezmer erst durch diese Hochzeiten kennengelernt. Irgendwann hatten wir keine Lust mehr, immer Begleitband zu sein, und haben dann gesagt: Wir spielen jetzt Klezmermusik. Und die Klezmermusik war für mich schon eine sehr große Einflusswelt, das ist eine Musik, die ja alles beschreibt, wirklich alles: ganz tragische Melodien und dann die völlig abgefahrenen, wilden Tanzstücke. Klezmermusik ist eigentlich eine Berg-und-Tal-Fahrt – einfach etwas, was man für Filmmusik gebrauchen kann, dieses ganze Register von Emotionen.
Klezmer ist ja mit der Zeit auch ein populärer Trend geworden und hat immer größere Hallen gefüllt. Jetzt haben Sie aufgehört. War es Ihnen schon zu sehr Mainstream?
Irgendwann ist mein Interesse an dieser reinen Nische auch ein bisschen erloschen. Ich habe dann parallel mit Dani angefangen, Filme zu machen, und habe gemerkt, dass ich viel mehr Variationen in der Filmmusik finde. Ich kann mal einen Trip-Hop-Chor machen wie bei STILLE NACHT oder wirklich ein volles Orchester verwenden, Filmmusik ist einfach viel spielerischer.
Wie wichtig ist Livemusik in Ihren Filmen? Bringt es besondere Qualitäten in eine Filmmusik, wenn wenig elektronisch gemacht wird und viel mit echten Musikern?
Ich probiere, möglichst viele Live-Instrumente in der Filmmusik zu verwenden, weil jeder Musiker, der noch spielt, das Instrument anders spielt, als wenn ich es auf dem Synthesizer einklicke. Und ich finde, die Musik braucht diesen Raum, also nicht nur den Raum an sich, sondern diesen Raum von Menschen, die vielleicht sogar eine Melodie, die ich mir ausgedacht habe, plötzlich ganz anders spielen, so dass ich merke: Wow, das ist ja viel besser. Und wenn ich das auf dem Synthesizer einspiele, so einfach, TA-TA-TA-TI (singt eine Melodie und spielt mit der rechten Hand pantomimisch Synthesizer), und ein anderer Instrumentalist macht DA-TAN-DANG (singt die gleiche Melodie leicht verändert und ahmt ein anderes Instrument nach), da merk ich: Ach ja, stimmt, ist ja eigentlich viel lebendiger. Und so ist es auch mit Orchestern – es gibt ganz tolle Orchestersamples. Aber es ist immer noch ein Unterschied, wenn neunzig Leute einen Ton spielen oder einer ihn auf dem Synthesizer spielt.
Spielen Sie auch selber manchmal noch mit bei diesen Einspielungen?
Ja. Es passiert oft, dass ich zum Beispiel Sachen layoutmäßig singe, oder dass ich auf der Gitarre … also ich bin nicht Gitarrist, aber ich probiere es dann einfach so einzuspielen. Zum Beispiel bei MEIN FÜHRER [– DIE WIRKLICH WAHRSTE WAHRHEIT ÜBER ADOLF HITLER] wollte ich eine singende Säge haben. Ich hatte dann keine. Aber ich wollte so einen Effekt wie in diesen alten Nazifilmen: Wenn es da unheimlich wird, kommt]die singende Säge oder das Teramin – das ist ein elektronisches Instrument. Und da habe ich einfach ausprobiert, ich habe gepfiffen und das eine Oktave runtergestimmt, und plötzlich klang das wie eine singende Säge – und am Schluss ist es im Film drin geblieben. Oder es ist mir auch schon passiert, dass ich Sänger hatte und habe denen immer vorgesungen, wie sie singen sollen. Und irgendwann habe ich gemerkt: Eigentlich kann ich es selber singen. Das gibt es dann manchmal schon.
Jetzt wollen wir mal konkret über den Ausschnitt aus NIRGENDWO IN AFRIKA reden. Es beginnt sehr verhalten, man hört ein gezupftes Instrument. Ist das schon ein afrikanisches Instrument?
Ich war ja in Kenia und habe das Set besucht. In der Woche vorher habe ich noch einen Workshop für kenianische Musiker für Filmmusik gegeben, die ihre traditionellen Instrumente alle mitgebracht hatten. Da gab es dieses eine Instrument, es heißt Nyatiti, das ist ein Zupfinstrument, eigentlich wie eine Harfe. Dieses Instrument hat mich nicht mehr losgelassen. Für die Filmmusik in NIRGENDWO IN AFRIKA habe ich das auf normale Harfe übersetzt, weil ich das Instrument nicht mitnehmen konnte. Und eigentlich fängt die Musik dann mit diesem Harfenmotiv an. Also ich habe dieselben Töne verwendet wie das Originalinstrument. DADADADIDIDIDIDIDEDE (singt), etwa so, und habe mich dann auf diese Töne auch reduziert. Gleichzeitig habe ich auf dem Set, also dort wo auch die Schauspieler, die afrikanischen Dorfbewohner waren, in der Mittagspause einfach mal Lieder aufgenommen. Darunter war auch dieser Massai-Gesang, also dieser HU-WA-HN-NA-HN-NA-HN-NA-HN-NA (singt Massai-Töne), dieses Atmen, was die Massais haben. Und ich wusste, dass ich das irgendwie unterbringen will, weil das natürlich einen wahnsinnig guten rhythmischen Faden durch den Film gibt.
Dann kommt aber bald etwas dazu, das klingt fast percussiv ...
Ah ja, das ist aber auch live gespielt, das ist eine Kalimba. Da kommt dieser Rhythmus der DIMDIMDIM-DIMSCHDINKEDINK (singt Rhythmustöne), das ist auch ein afrikanische Instrument, das spielt man allerdings in Kenia gar nicht.
Was für ein Instrument ist die Kalimba?
Das sind Metallstäbchen oder auch Holzstäbchen, die dann auf einem Resonanzkörper klingen, die also eigentlich atonal sind. Man sagt auch “Daumenharfe“, DUNKEDUNKDUNKE (singt Rhythmustöne). Das klickt man dann so an.
Und was dann darüber kommt, klingt wie Oboe. Ist das das Thema, das sich langsam aufbaut?
Ich habe mir überlegt: Was bringe ich am Anfang? Ich muss irgendetwas finden, was Europa und Afrika verbindet, einfach diese riesige Distanz. Die Leute sind ja noch in Europa und wissen, sie müssen jetzt nach Afrika. Ich wollte eigentlich einfach ein lang gezogenes Klagelied – das hat jetzt auch wieder eine Verbindung zur Klezmermusik, das DIDADA-DIDADADA-DIDADA (singt). Wenn man es schneller singen würde, wäre es so wie ein jüdisches Lied. Und dann habe ich es einfach wahnsinnig lang gezogen, also die Töne ganz lang, dass man eigentlich diesen Bogen von der Landschaft hat, aber auch diesen Bogen von Europa nach Afrika, dass das irgendwie auch zusammenhält, dass das nicht in sich zusammenbricht.
Symbolisiert das auch ein bisschen die Sehnsucht nach Europa, nach der Heimat?
Ja, die Grundabsicht der Musik war eigentlich, dass die Musik immer die Erinnerung der Leute an Europa darstellt, weil der Film ja fast ausschließlich in Afrika spielt.
Und dann, wenn die Kamera über die Landschaft fliegt, wird die Percussion lauter. Sind das richtige afrikanische Trommeln?
Ja, das habe ich in der Schweiz aufgenommen, aber auch mit afrikanischen Musikern. Das ist natürlich toll, ich finde das immer wieder schön: Wenn die Kamera hochfährt, das ist dann eine Einladung an den Musiker, die ganzen Schubladen aufzumachen. Toll, wenn man das auch zulässt und nicht irgendwie sagt: Das wäre jetzt zu viel. Und es erinnert mich natürlich auch ein bisschen an SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD natürlich, mit diesem genialen Akkordwechsel, wenn Ennio Morricone auch ganz am Anfang den Blick auf die Landschaft frei macht. Das sind dann auch die Stellen, in denen man die Musik einfach auch nur genießen kann, wenn man im Kino sitzt.
Und dann kommen die silbrigen Geigen, dann wird es ein ganz großes Orchester. Ist das ein Live-Orchester, das da spielt? Wie wurde das aufgenommen?
Das war ein Orchester, das sonst nie Filmmusik aufnimmt, ein richtiges Symphonieorchester. Wir hatten auch richtig Streit mit denen, weil ich wollte, dass die die Kopfhörer anhaben, damit sie wissen, zu was sie spielen, dass sie da wirklich zum afrikanischen Percussionsorchester spielen. Da brauchte ich viel Überzeugungskraft, dass auch sechzigjährige Geiger, die das noch nie gemacht haben, zum ersten Mal im Leben einen Kopfhörer anziehen. (Lacht) Ich habe sie dann überzeugen können, als ich ihnen das Bild gezeigt habe. Wir hatten auch eine Leinwand, und dann haben wir ihnen das Bild gezeigt, zu dem sie die Musik machen. Und plötzlich wollten dann alle hören – ah, interessant! Und das finde ich auch das Tolle an Filmmusik, dass man eigentlich immer auch Welten zusammenbringt.
Wenn die Kamera über dem Meer ist und dann beim Schiff ankommt, wird die Stimmung der Musik düsterer. Ist das ein Tonartwechsel?
Ja, es geht erst runter, und dann kommt auch ein Tonartwechsel. Im ersten Teil kommt dieser Tonartwechsel auch schon, als die Nazis zum ersten Mal auftauchen. Da beim Schiff habe ich es so verwendet, dass man die Zweifel sieht. Man sieht die Frau an Bord stehen, und sie schaut aufs Meer hinaus. Und da geht es darum, etwas bewusst zu machen: Zuerst wird dem Zuschauer eine große Aufbruchstimmung vermittelt, aber plötzlich merkt er: Für die Person, die nach Afrika geht, ist das jetzt eigentlich nicht so toll. Das soll dann auch ein bisschen darstellen, dass die Frau eigentlich ihre Zweifel hat mit der Reise, wohin die geht.
Und dann beginnt, was so klingt wie Achtel, dieses dunkel Drohende der Vernichtung ...
Ja, dieses Unaufhaltbare. Ich glaube, das soll eigentlich darstellen, dass sie von hinten gestoßen werden, sie müssen flüchten, sie müssen vorwärtsgehen. So, dass das etwas Unaufhaltbares hat und dass sie einfach in eine neue Geschichte gestoßen werden durch diesen Rhythmus.
Als Sie diese Musikidee, diese Musikstücke Caroline Link präsentiert haben, war dann die Reaktion spontan: Ja, genau, das ist es?
Das erste Thema eigentlich schon, dieses lang gezogene. Oft bringt man Themen ganz am Anfang, und dann sagen die Regisseure: Ja, ist okay, hm, ja, ja. Und dann Wochen später oder Monate später holt man das erste Stück wieder raus, und plötzlich merkt man: Ach, das war es ja eigentlich. Und ich glaub, das war mit dem Thema auch ein bisschen so.
Im weiteren Verlauf des Films gibt es auch noch sehr dramatische afrikanische Chöre. Das haben Sie alles am Drehort aufgenommen?
Ja, das sind alles die Leute, die man auch im Bild sieht. Und zum Teil ist das fast professionell, man hat das Gefühl, es klingt wie diese bulgarischen Chöre. Aber das war vielleicht eine Dreiviertelstunde in der Mittagspause, als sie die Lieder gesungen haben. Es hat einfach eine Wahnsinnskraft. Ein Lied habe ich … drei Männer und eine Frau singen ein Lied, das über fünf Minuten geht, und ich hatte immer den Traum, das mit dem Orchester begleiten zu lassen. Im Abspann kommt das Stück dann, in dem das europäische Orchester, diesen afrikanischen Gesang begleitet. Ich musste dann einen Clicktrack machen, damit das Orchester genau zu dem Gesang spielt. Und dabei habe ich realisiert, dass die über fünf Minuten perfekt in dem gleichen Timing singen. Das war für mich so eine Erfahrung, diese gelassene Einstellung zu Rhythmus, die Afrikaner haben – und trotzdem sind sie präziser als jeder studierte europäische Musiker. Und das sind natürlich immer die Highlights, wenn man solche Sachen entdeckt.
Gibt es noch mehr besondere Instrumente, die Sie eingesetzt haben für den Film?
Nein. Es gibt noch die afrikanischen Flöten. Ich hatte eine Phase, in der ich mich fast nichts mehr getraut habe, weil ich immer dachte, ich werde dem Afrikanischen nicht gerecht. Und irgendwann habe ich dann einfach losgelassen und gesagt: Ich muss jetzt meine Optik vom Afrikanischen darstellen, das muss nicht afrikanisch sein. Und war dann schlussendlich wieder überrascht, dass die Afrikaner, als sie ins Studio kamen, gesagt haben: Ja, super, ist ein bisschen anders, aber ist doch toll. Ich glaube, oft zwingt man sich, so wahnsinnig echt zu sein, und merkt dann, dass das eigentlich den Leuten egal ist, wie man mit ihrer Musik umgeht, solange man Respekt hat und auch die Liebe dazu.
Sie gelten als ein Künstler, der sich mit seinen Themen oder Ideen manchmal sehr quält, dem das Komponieren nicht immer leicht fällt. In dem Film gibt es zwei Musikstücke, die jemand anderes komponiert hat. Wie kam das zustande?
Irgendwann hatte ich einen Ideenstau, und eine Woche lang kam gar nichts mehr. Dann mussten Caroline und ich irgendeine Lösung finden. Und dann haben wir einfach noch den Jochen Schmidt dazugezogen, der schon mal für mich eingesprungen ist, als ich Source-Musiken haben musste. Er war dann wie ein Katalysator, der mich wieder in den Film zurückgebracht hat. Aber eigentlich ist die Entwicklung bei mir immer so: Zuerst alles im Kopf, und dann verengt man sich so auf das Thema und irgendwann verbietet man sich alles. Und da braucht es irgendeinen Auslöser, der dann so (schlägt die Hände einmal schnell zusammen) die richtigen Ideen auch bringt.
Was zeichnet einen guten Filmkomponisten aus?
Ich glaube, ein guter Filmkomponist findet heraus, was der Kern der Geschichte ist. Das ist eigentlich für mich immer das Wichtigste. Ich brauche auch immer sehr lange, bis ich das Gefühl habe, ich bin im Film angekommen. Es gibt oft Phasen, in denen ich Sachen komponiere und das Gefühl habe, das liegt so oben drauf und ist nicht drin. Ich glaub, ein guter Filmkomponist ist fähig herauszufinden, wo die Säfte im Film sozusagen fließen .
Eine Musikleistung im deutschen Film, die Sie sehr beeindruckt oder vielleicht beeinflusst hat?
Es gibt einen Film, der ist schon sehr alt, DIE BLEIERNE ZEIT. Da war der Filmkomponist – ich glaube, Nicolas Economou hieß der, irgendein griechischer Komponist. Ich kann mich noch erinnern, ich war damals Teenager und war so fasziniert, wie diese Musik so wie ein dunkler Schleier über dieser bleiernen Zeit hing. Ich glaube, es war ein Streichquartett, relativ neue Musik. Und das ist eine Musik, an die ich mich jetzt noch erinnere, einfach nur als Stimmung.
Und aus dem internationalen Kino hatten wir schon Ennio Morricone. Gibt es noch ein anderes Beispiel?
Ja, es ist Morricones Landsmann Nino Rota, den schätze ich fast noch höher ein. Gerade DER PATE zum Beispiel oder die ganzen Fellini-Filme. Er verkörpert das, was ich vorher gesagt habe, was einen guten Filmkomponisten ausmacht: Die Musiken von Nino Rota, das sind eigentlich die Filme. Da muss man nur eine Note hören, und man ist wieder in dem Film drin. Gerade beim PATEN I und II. Das sind so unabhängige melodische Motive, die eigentlich mit Mafiosi nichts zu tun haben, aber die den Film so groß machen (breitet die Arme aus), so eine wahnsinnsepische Breite eigentlich ganz bescheiden mit wenig Instrumenten darstellen. Und [es ist] auch geile Musik. Das vergisst man immer zu sagen, dass Musik einfach toll sein muss, dass man sie gerne hört auch.
Ein Satz, was Kino für Sie bedeutet. Kino ist ...
Kino ist für mich Eintauchen in die Dunkelheit und dann Auftauchen in andere Welten.
Und wenn Sie nicht Musiker wären, welchen Filmberuf könnten Sie sich sonst noch vorstellen?
Ich denke, wenn ich jetzt nicht Filmmusiker wäre, dann wäre ich wahrscheinlich Cutter. Das ist die Arbeit, die ich so am nahesten mitbekomme. Ich sehe oft Muster und habe dann oft selber schon eine Fantasie, wie das dann zusammengeschnitten wird – und bin dann immer überrascht und denke: Ah, das hätte ich vielleicht noch besser gemacht. Ich glaub, das ist etwas, was mich faszinieren würde.
Es gibt die Theorie, dass gute Filmmusik überhaupt nicht auffallen soll, weil sie den Film unbewusst unterstützen soll. Da hat der Peter Thomas, der andere Filmkomponist, den wir interviewt haben, heftig widersprochen: Unsinn! Was ist Ihre Meinung?
Es gibt zwei Ebenen. Ich finde auch, die Musik darf ruhig auffallen, aber sie soll natürlich kein Fremdkörper sein. Und es gibt natürlich Momente, in denen ich im Film sitze und nicht gemerkt habe, dass die Musik schon da ist. Und irgendwann merke ich, die Musik ist da und denke: Oh, Wahnsinn, wie hat er das wieder geschafft! Also ich glaube, die Musik muss einfach den Zuhörer oder Zuschauer überraschen und manipulieren. Und ich find es auch toll, wenn eine Musik mal einfach nur zum Genießen da ist und man sagen kann: Okay, der Film gibt jetzt die Breite, da sitzt die Musik im Vordergrund.
Und dann haben wir auch noch einen Ausschnitt aus ALLES AUF ZUCKER!. Können Sie ganz kurz etwas zu der musikalischen Idee sagen?
Die musikalische Idee war Spaß. Da hat eigentlich alles Spaß gemacht. Den Film angucken hat Spaß gemacht und so layoutmäßig hatte Dani eine Henry-Mancini-Platte da, die wir dann mal zum Bild aufgelegt haben. Ich hatte eigentlich auch schon immer Lust, mit Big Band zu arbeiten – es ging bei dem Film alles nach dem Lustprinzip. Es geht natürlich darum, die Hektik darzustellen, aber so, dass man immer Spaß hat. Und der Film ist das ja auch. Und Spaß ist natürlich auch ein Herzöffner.
Das Gespräch führte Tobias Kniebe.
Niki Reiser, geboren am 12. Mai 1958 in der Schweiz, studierte nach einer klassischen Flötenausbildung von 1980 bis 1984 an der Berklee School of Music in Boston Jazz und Klassik mit dem Schwerpunkt Filmmusik. In Basel vertiefte er seine Ausbildung mit Studien in Komposition.
Schon in den USA hatte Reiser Filmmusiken komponiert, nach der Begegnung mit Dani Levy schrieb er die Filmmusik für dessen Debütfilm DU MICH AUCH (1986). Auch in den nächsten Jahren komponierte er für Levy, beispielsweise für ROBBYKALLEPAUL (1988) und STILLE NACHT (1996, Bayerischen Filmpreis). Für die Musik zu Caroline Links JENSEITS DER STILLE erhielt Reiser 1997 zum ersten Mal den Deutschen Filmpreis, der Soundtrack wurde allein in Deutschland über 200.000 mal verkauft. Weitere Deutsche Filmpreise erhielt Reiser 1999 für MESCHUGGE und PÜNKTCHEN UND ANTON, 2001 für NIRGENDWO IN AFRIKA von Caroline Link und 2005 für Dani Levys ALLES AUF ZUCKER. Nach einem Bayerischen Filmpreis für das Drama LIEBESLEBEN von Maria Schrader im Jahr 2008 wurde Niki Reiser für eine weitere Zusammenarbeit mit Caroline Link, IM WINTER EIN JAHR, 2009 erneut mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Neben seiner Tätigkeit als Filmkomponist war Niki Reiser bereits zweimal als Flötist mit der Klezmerband Kol Simcha auf Welttournee.
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Niki Reiser
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