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Stakkato der Schnitte

Wie die Filmeditorin Uta Schmidt ihre virtuosen Montagen gestaltet

„Ich wollte eine rasende Kamerafahrt, bei der einem Hören und Sehen vergeht. Aber die gab es nicht. Ich musste sie im Schnitt zusammenbasteln.”

Interview mit Uta Schmidt

Als Regisseur Chris Kraus das Drehbuch für seinen Film VIER MINUTEN schrieb, setzte er alles auf eine Karte: Vier entscheidenen Minuten im Finale des Films mussten Krise und Katharsis, Triumph und Auflösung zugleich transportieren. Die Protagonistin spielt vor großem Publikum Klavier und verwandelt die Klänge einer Schumann-Sonate unversehens in sehr experimentelle Musik. Ein Fest für die Filmeditorin Uta Schmidt: Zum Takt dieses außergewöhnlichen Soundtracks konnte sie nicht weniger als 42 Kameraperspektiven zu einem Rausch der Bilder zusammenschneiden.

Die Szene
Die junge Pianistin Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung) sitzt als Mörderin im Gefängnis. Dort versucht die Klavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu), ihr Talent zu fördern und ihrer selbstzerstörerischen Aggressivität entgegenzuwirken. Sie verhilft ihr sogar für einen Tag zur Flucht aus dem Gefängnis – damit Jenny an einem renommierten Musikwettbewerb teilnehmen kann. Während sie vor vollem Saal zu spielen beginnt, umstellt die Polizei das Gebäude. Jenny hat vier Minuten Zeit – es wird die Performance ihres Lebens werden.

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Was hat dir der Regisseur gesagt, als er dir das komplette Material seines Films zum Schneiden in die Hand drückte?

Ein Grundkonzept für den Schnitt gab es für mich nicht. Ich vermute, dass Chris Kraus mit Judith Kaufmann, der Kamerafrau, schon vieles besprochen hatte, schon durch die Auflösung – da werden natürlich viele Dinge überdacht. Aber diese Gespräche hat es mit mir nicht gegeben. Das ist auch ein Konzept von Chris Kraus, dass er einem das Material überlässt und erst mal guckt, was der Filmeditor daraus macht. Vorlage ist natürlich das Drehbuch, aber es ändert sich ja im Nachhinein doch noch immer sehr viel ...

Wann fängst du an, über den Schnitt nachzudenken: schon beim Lesen des Drehbuchs oder erst, wenn du die Berge von Material vor dir hast?

Auf jeden Fall beim Drehbuchlesen. Ich bin jemand, der Drehbücher sehr langsam liest, weil ich immer schon den Film vor mir sehe. Und manchmal deckt sich das dann mit dem Material, das ich bekomme. Da freue ich mich natürlich, weil ich schon beim Lesen Ideen entwickelt habe. Und natürlich trage ich auch manche Sachen an den Regisseur heran, wenn die Möglichkeit besteht.

Du bekommst also das gesamte gefilmte Material und schaust es dir an. Wie reagierst du auf dieses Material? Wie entstehen Lieblings-Takes, wo entstehen Ideen, wie man schneiden könnte?

In erster Linie sehe ich mir die Schauspieler an. Welcher Ausdruck, welche Kraft da rüberkommt, das ist eigentlich das A und O erst mal. Und dann überlege ich mir: Will ich einen Überraschungseffekt haben, also mache ich erst mal ein Geheimnis aus der Szene, die ich gerade habe, und öffne sie dann? Oder öffne ich sie gleich, nehme ich gleich eine Nahe und will eine konkrete Aussage haben? Das kommt auf die jeweilige Szene an und auf die jeweilige Stelle im Film. Aber vorrangig ist auf jeden Fall das Schauspiel. Es ist mir auch schon oft passiert, dass ich irgendwas im Hintergrund nicht bemerkt habe, weil ich so fixiert auf die Schauspieler war, so dass ich erst viel später sehe: Oh, da war ja noch ein Mikro drin, und man sollte es vielleicht doch austauschen.

Entscheidend ist ja, dass der Film funktioniert. Ist dafür die Fixierung auf die Schauspieler das einzige Kriterium? Oder gibt es auch den Weg über Kamera oder Effekte?

Es kommt natürlich immer sehr auf den Film selbst an, was der Film erzählen will – was sowieso die Grundvoraussetzung dafür ist, welchen Stil der Film haben soll. Bei VIER MINUTEN war Effekthascherei völlig fehl am Platz, da ging es wirklich um die Charaktere und um die Annäherung der Figuren. Dann versucht man natürlich, darüber zu gehen. Gleichzeitig denkt man: Es ist Kino, Kino braucht auch Totalen; wenn möglich, sollte man die auch benutzen, um es zu öffnen. Da der Film aber im Gefängnis spielt, muss man auch damit umgehen: Wir wollen auch eine Enge, eben keine Freiheit erzählen, so dass dann eine Totale auch eine Wirkung haben kann. Zum Beispiel wenn Jenny zu ihrem ersten Konzert fährt – vorher waren wir eigentlich nur drin –, da machen sie eine Rast an einer Imbissbude. Das ist eine ganz große Totale, und das ist natürlich dann erst mal ein Aufatmen. Trotzdem kommt Jenny natürlich gefesselt aus diesem kleinen Lkw raus. Aber das hat dann auch eine Wirkung, dass dann mal etwas Großes kommt, etwas Weites ...

Hast du, wenn du mit bestimmten Regisseuren zusammenarbeitest, das Gefühl: Der Film ist im Kopf des Regisseurs eigentlich schon geschnitten? Und gibt es dann auch wieder den anderen Fall, bei dem du denkst, da könnten wir jetzt alles machen?

Das kommt auf den Regisseur an. Das kommt darauf an, wie der Dreh funktioniert hat, was oft auch mit Zeit am Drehort zu tun hat. Manche Dinge können aus Zeitmangel nicht mehr gedreht werden, was dann bei der Postproduktion oft schwierig ist. Aber dass jemand den Film schon perfekt im Kopf geschnitten hat, das habe ich persönlich noch nicht erlebt. Ich habe bisher auch viel Glück gehabt mit meinen Regisseuren, die mir immer sehr viele Freiheiten gegeben haben: Mach erst mal! Und wenn der Regisseur in den Schneideraum kommt oder die Regisseurin, dann entwickelt man gemeinsam Ideen. Dann kommen noch die Schnittideen dazu, die der Regisseur schon hatte, die man natürlich erst mal nicht kannte – und man versucht gemeinsam, Lösungen zu finden für Schwierigkeiten, die es immer gibt.

Hitchcock soll ja z.B. ein Regisseur gewesen sein, der nur Material gedreht hat, das er auch verwenden wollte. Er hatte den Film als Storybord praktisch im Kopf. Da ist der Filmeditor nur noch dazu da, alles zusammenzukleben ...

In gewisser Weise, muss ich ehrlich sagen: ja. Ich komme jetzt auch noch mal auf VIER MINUTEN zurück. Es war nämlich tatsächlich so, dass Chris Kraus sich am Anfang der Arbeit erst mal in sein Material hineinfinden und alles sehen musste. Ich dagegen hatte natürlich alles schon intus, wollte weiter und wurde von ihm erst mal sehr stark gebremst. Es war unglaublich schwierig für mich , nicht weiterzuarbeiten, sondern mich ihm erst mal zu fügen. Ich bin schon nervös geworden, und wir haben uns auch ab und zu gestritten. Aber als diese Phase dann vorbei war, fing auch die kreative Zusammenarbeit richtig an, und das lief wunderbar. Und mit Hitchcock? Also wenn ich jetzt angeboten bekommen hätte, mit Hitchcock zu arbeiten, der so einen Namen hat, dann würde ich natürlich nicht Nein sagen – einfach, um die Erfahrung mal zu haben. Aber grundsätzlich würde ich, wenn ich einem Regisseur zum ersten Mal begegne, erst mal gucken, was er vorhat. Wenn ich damit einverstanden bin, wenn ich das toll finde, was er macht, dann würde ich mich dem wahrscheinlich auch eher fügen. Aber ich würde trotzdem nicht aufhören, meine eigenen Gedanken dazu zu äußern, auf keinen Fall!

Bleiben wir mal ein bisschen bei den großen Totalen. Wenn du das Material für diese Szenen zum ersten Mal sichtest und entdeckst: Hier will der Regisseur wahrscheinlich, dass wir die Weite spüren –, betrachtest du das quasi als Regieanweisung?

Nein, so denke ich gar nicht. Ich denke, will ich jetzt diese Weite spüren? Ich kann nicht immer denken, was will der Regisseur? Das geht nicht! Ich habe im Rohschnitt die Möglichkeit, wirklich erst mal nur mich selbst in den Film reinzufinden. Das ist natürlich insofern schwierig, als das Material unchronologisch kommt und man immer gucken muss: Wo bin ich jetzt? Wer führt jetzt die Szene? Auf wen gehe ich jetzt? Das sind manchmal schwierige Entscheidungen. Es kommt oft genug vor, dass ich das später komplett wieder umschneide, weil ich in der Entwicklung des Films dann sehe: Hm, nein, kommt gar nicht hin, da muss jetzt eigentlich diese Figur erst mal anfangen. Aber ich gehe erst mal nur nach meinen Gefühlen, weil ich immer denke, es muss aus einem Guss sein. Wenn ich mich dauernd von irgendwelchen anderen Einflüssen und Personenbeeinflussen lasse , wäre das, glaube ich, ein Kompromiss nach dem anderen. Und Kompromisse finde ich immer ganz schlecht. Wenn der Regisseur dann dazukommt, ist es natürlich sehr wichtig, dass wir uns verstehen, dass wir auf der gleichen Wellenlänge sind und das Gleiche wollen. Dann kann man auch die Ideen des anderen akzeptieren und gut zusammenarbeiten. Wenn man merkt, das geht nicht, der will was ganz anderes als ich, dann sollte man, die Zusammenarbeit beenden, weil es dann keinen Sinn hat. Letztendlich ist es aber so, dass ich mir Regisseure wünsche, die genau wissen, was sie erzählen wollen. Das ist für mich auch das Wichtigste, dass ich sehe, der weiß, was er will und wo er hin will und dass ich das auch gut finde.

Du hast also beim Lesen des Drehbuchs schon eigene Bildideen zu der Geschichte entwickelt. Wie fühlst du dich, wenn du dann eine passende Szene entdeckst?

Es ist aber auch oft so, dass man sich beim Lesen des Drehbuchs etwas vorgestellt hat und das trifft dann bei dem gedrehten Material gar nicht zu. Es kommt vor, dass man eben was ganz Neues im Material entdeckt. Manchmal gibt es auch Einstellungen oder Ausdrücke der Schauspieler, bei denen ich denke: Ha, das muss ich unbedingt benutzen, irgendwie muss ich auf diesen Punkt kommen, um ihn hervorzuheben.

Dazu fällt mir eine Szene ein, die mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist – eine der ersten großen Szenen von Hannah Herzsprung: Da explodiert sie quasi in einer Auseinandersetzung und hat dabei so ein irres Leuchten in den Augen. Und man denkt, diese Frau ist tatsächlich gefährlich! War das so eine Szene?

Das ist bestimmt so was, ja. Es gibt eigentlich viele Dinge. Es ist manchmal nicht nur ein Ausdruck, sondern auch ein Zusammenspiel. Z.B. die Szene, in der Hannah über das verlorene Kind erzählt, das war natürlich auch aufgelöst – und der Take, der jetzt drin ist, der hat einige Schärfe-Unsicherheiten. Ich habe Judith gleich angerufen und gefragt: Kannst du damit leben, wenn ich diesen Take durchgehend nehme, weil der von Hannah so stark ist, ich möchte das nicht zerschneiden. Da muss man drauf bleiben – die entwickelt sich so innerhalb dieses einen Takes – und nur in diesem Take. Kannst du damit leben? Dann sagte sie: Ja, kriegen wir hin ...

Nun bezieht sich der Titel des Films VIER MINUTEN schon auf eine Schnittsequenz, wenn man so will, auf eine alles entscheidende Sequenz, die wir auch zeigen. Wie ist es, wenn auf einem Stück Film, schon vom Titel, von der ganzen Situation her, so eine Aufmerksamkeit liegt?

Diesen Titel gab es vorher nicht. Der Arbeitstitel war NUR FÜR MOZART, dieser Titel ist erst nach Beendigung des Films entstanden.

Trotzdem war es aber klar, dass in den vier Minuten, in denen sie das Konzert spielt, alles schnell auf den Höhepunkt zuläuft und dass da ein Filmeditor wirklich zeigen kann, was er draufhat ...

Von außen denkt man das so – ja, das stimmt. Aber tatsächlich ist es in diesem Film so gewesen, dass diese Szene zwar eine ganz intensive Arbeit und quasi ein Abtauchen ins Material war und Auftauchen – und dann: Oh Gott, wenn wir an diese Szene wieder rangehen, wird das furchtbar! Das haben wir dann aber gar nicht mehr großartig gemacht. Es hat mich auch überrascht, muss ich sagen. Denn wenn man da so drin ist, denkt man: Wenn jemand jetzt von außen guckt, dann wird natürlich noch etwas geändert, und das kann man selbst dann auch gar nicht mehr so richtig beurteilen. Aber viel schwieriger waren Teile des Rests des Films. Da bin ich fast mehr stolz darauf, dass wir da die Schwierigkeiten beseitigen konnten. Das ist für das Publikum natürlich überhaupt nicht ersichtlich. Denn diese Schluss-Szene, die war sehr organisiert, ich hatte die Musik – die gab es ja schon vorher –, dann bekommt man eine Masse an Material mit allen möglichen Einstellungen, auch Handkamera und Stativ, so dass man eigentlich immer Möglichkeiten hat, zu schneiden. Es war ganz tolles Ausgangsmaterial. Die Leistung von Hannah war toll, das Double passte wunderbar zu Hannah, also das war eigentlich immer noch relativ einfach, weil man eben nicht wirklich Schwierigkeiten hatte, sondern einfach nur eine Masse an Material, wovon man eben auswählen musste. Viel schwieriger ist es, wenn man Szenen bekommt, in denen etwas fehlt oder bei denen man merkt: Oh, dramaturgisch ist da jetzt doch ein Loch. Wie kriegt man das jetzt noch hin, macht man da noch einen Off-Text, kann man da irgendwie drum rumschneiden, oder kann ich da etwas ganz rausnehmen? Wie kriegt man diesen Bogen in der Geschichte hin, der das A und O von allem ist? Aber trotzdem war es immer beruhigend zu wissen: Diese letzte Szene, die funktioniert – der Schluss des Films funktioniert. Das hat uns immer unheimlich Mut gemacht.

Kannst du dich erinnern, warum du diese Sequenz so komponiert hast, wie sie jetzt zu sehen ist?

Erst mal muss ich vielleicht über die Grundorganisation dieser Szene etwas sagen. Und zwar hat meine fantastische Assistentin da sehr viel Arbeit gehabt. Sie hat das Musikstück genommen und dann jeden einzelnen Bildtake übereinander auf dieses Musikstück angelegt, sodass ich dann 42 Einstellungen, eben alle Bildspuren, übereinander hatte und am Avid immer anklicken konnte: Was passiert an dieser Stelle und an jener Stelle in der Musik? Es gibt ein paar Eckpunkte, die sowieso festgelegt sind. Zum Beispiel wenn die Polizisten reinkommen – da passiert ja im Vordergrund auch das Spiel von Hannah, das heißt, die müssen an dieser Stelle in dem Musikstück reinkommen. Dann schaue ich natürlich: Was gefällt mir beim Durchgucken der einzelnen Takes, was sind Bilder, die mich ansprechen, die ich unbedingt drinhaben will, wo es Momente vom Licht und der Kamera her gibt , die ich interessant finde. Die ziehe ich mir einfach runter auf die Spur, erst mal so ganz grob. Dann gab es einen Moment in der Musik, als Monica Bleibtreu aus dem Saal rausgeht und trinkt, der ist relativ variabel einzusetzen. Es gibt nur diesen Punkt, wenn sie zurückkommt – der war fix, weil er eben mit den Polizisten zusammenhängt. Die Polizisten mussten zuerst reingekommen sein, und dann kann erst die Figur reinkommen. Da gab es aber einen Moment in der Musik, wo es so rattert, tatata-tatata-tatata. Und ich sah dann die Polizisten in dem Gang laufen, wenn Monica Bleibtreu aus dem Saal geht. Da dachte ich: Das muss an diese Stelle, das sind die Polizisten, die da rennen – das war für mich ein absoluter Fixpunkt. Es ergeben sich Lücken im Film, und daraufhin guckt man dann: Wie fülle ich jetzt diese Lücken auf, wie mache ich das rhythmisch am besten? Um bei der Szene mit Monica Bleibtreu zu bleiben: es gab dann nur noch einen kleinen Zwischenraum, in dem sie trinken konnte. Glücklicherweise war das aber auch von der Musik her ein Teil, bei dem ich dachte: Da kann man auch mal draußen bleiben, das ist nicht so schlimm, das wiederholt sich, es gibt kein neues Konzept in der Musik, sodass man einfach in Ruhe bei Frau Bleibtreu bleiben kann. Sie spielt das ja hervorragend, wie sie da überlegt, ob sie noch ein drittes Glas nehmen soll und in diese Überlegungen dann noch mal Hannah reinhauen lässt und der Ton diese Entscheidung praktisch unterstützt: Na, ich nehme noch ein Glas ... Dann kommt sie zwar etwas zu schnell in den Saal, aber wir haben alle gedacht: Okay, egal, es passt einfach gut so.

Und zum Beispiel die Draufsicht von oben, die Totale mit dieser winzigen Figur ...

Die winzige Figur in Schwarz zählt zu den Lieblingsbildern, wie man sie immer gerne hätte. Das Bild habe ich zugegebenermaßen am Anfang erst mal übersehen, und später sind wir dann beim Durchgucken des Materials noch mal darauf gestoßen. Ich hatte das schon im Hinterkopf, aber ich konnte es nicht mehr unterbringen. Aber dann, mit Abstand, hat man plötzlich gesehen: Ach Mensch, da passt es doch noch rein! Wir haben nachträglich einen Teil eingebaut, und zwar weil es vielen Leuten nicht klar war: Wo hört Schumann auf, wo fängt die Improvisation an? Deswegen haben wir in die Musik eine Pause reingeschnitten, und zwar wenn Jenny diese Armbewegung macht – die war nicht geplant, die ist nicht so gedreht als Moment, sondern die ist wirklich zusammengebastelt aus verschiedenen Einstellungen. Dadurch konnten wir diese Ferneinstellung, in der sie so ganz klein vor dem roten Vorhang ist, noch rein bekommen.

Es wirkt ja, als wäre nicht in die Zeit reingeschnitten, als würde die Musik einfach so durchlaufen, wie sie in Wirklichkeit klingt. Aber wenn man genau schaut, gibt es einen Moment, wo sie über die Bühne so wegspringt und praktisch im nächsten Schnitt schon wieder da ist – was ja nicht geht.

Sie hat es nicht geschafft, rechtzeitig wieder da zu sein, weil sie eben mit so einem Elan da weggesprungen ist. Hannah hat sich da so reingesteigert, und sie hat sich darüber geärgert, dass sie das nicht geschafft hat. Ich dachte, mit dem Schnitt ist das aber möglich. Es ist alles machbar, es passt einfach da rein, es gibt dem sogar noch einen zusätzlichen Ausdruck. Das sind dann die überraschende Momente, in denen man erst denkt: Ach, sie hat es nicht geschafft, wie bekomme ich das jetzt hin? Und dann denkt man: Okay, jetzt schneide ich das ganz einfach mal so. Und dann: Och, das ist ja noch viel heftiger, viel ausdrucksvoller – toll!

Wenn die Kamera plötzlich oben ist, sieht das so aus, als ob sie auf sie zufährt. Aber eigentlich sind es Sprünge – hast du da auch in eine Fahrt reingehackt?

Genau. Es gab eine Einstellung, die ich mir da gewünscht hätte, die in meiner Vorstellung schon da war. Ich wollte eine rasende Kamerafahrt, bei der einem Hören und Sehen vergeht. Aber die gab es nicht. Ich musste sie im Schnitt zusammenbasteln. Eben so ein Heruntersausen – das ganze Publikum, der ganze Saal fixiert sich auf Jenny. Aber es gab eine langsame Kranfahrt, und das ist natürlich immer so eine Sache mit der Synchronität. Aber durch diese Sprünge konnte man das eben nicht mehr so wahrnehmen und hat dann letztendlich denselben Effekt erreicht.

Die Hände am Klavier sind aber nicht Hannah Herzsprungs Hände, oder?

Wir haben auch mit einem Double gedreht, aber ich habe immer versucht, möglichst Hannah reinzunehmen. Wenn es irgendwie eine Verbindung gab von den Händen zu Hannah, habe ich das immer zu nehmen versucht. Weil das eben schrecklich ist, wenn man merkt: Das ist jetzt ein Double, und sie spielt das eigentlich gar nicht selbst. Deswegen immer: Hannah, Hannah – Hannah war immer vorrangig. Dieses Stück zu spielen, ist eigentlich menschenunmöglich, es ist viel zu schnell. Es  gab einen großen Glücksfall, weil eine Bekannte von Annette Focks, unserer großartigen Komponistin, eine Chinesin, sich einfach drangesetzt hat und geübt und geübt und geübt hat, bis sie das wie eine Maschine spielen konnte. Ich weiß nicht genau, ob sie es wirklich geschafft hat, das durchgehend zu machen – aber die Teile, die immer gedreht wurden, die hat sie eben immer geschafft, und die hat sie immer im Takt und immer synchron geschafft. Es gibt auch eine Stelle im Film, bei der ich immer wieder staune, weil es so aussieht, als ob wir das Bild beschleunigt hätten – so schnell fliegen diese Finger da. Das ist aber einfach Original, so spielt dieses Double.

Was muss man aus deiner Sicht können oder mitbringen, um Filmeditorin zu werden?

Einen guten Filmeditor zeichnet natürlich in erster Linie Rhythmusgefühl aus – also das ganz bestimmt. Dann Einfühlungsvermögen für den jeweiligen Film, für das Thema, für die Charaktere im Film. Ich denke, ein Filmeditor sollte nie den Bogen des Films aus den Augen verlieren – die Geschichte, was er erzählen möchte – und sollte sich nicht in Spielereien verlieben.

Eine Schnittleistung im deutschen Film, die dich beeinflusst hat, an die du dich gut erinnerst?

Da gibt es sehr viele, die mich beeindrucken. Ich möchte eigentlich keine Namen nennen, weil es wirklich einige sind. Es sind oft auch gar nicht ganze Filme, sondern auch Momente, Ausschnitte, die mich beeindruckt haben, Ideen, die man aber auch gar nicht immer für sich übertragen kann, weil es eben auch mit dem jeweiligen Film, mit dem jeweiligen Material zu tun hat. Dann bewundere ich auch Filmeditor, die Filme retten können – was ein normaler Zuschauer überhaupt nicht sieht. Wenn man mit den Filmeditoren dann spricht und hört: Oh, da ging ja alles daneben, und dies und jenes hat nicht funktioniert – und man nur noch applaudiert: Dafür hast du das aber verdammt gut hingekriegt!

Gibt es einen Film aus der gesamten Filmgeschichte, der dich und deine Arbeit mitgeprägt hat?

Da gibt es ebenfalls viele. Aber ich muss vielleicht dazusagen, dass man einfach auch Glück haben muss als Filmeditor. Man muss ein tolles Buch bekommen, man muss schönes Material bekommen – dann ist die Würdigung nachher natürlich viel leichter, als wenn man sich abarbeitet und dann eben doch nicht der Film rauskommt, den man gerne hätte. Oder der es hätte werden können, wenn man es anders gemacht hätte oder man wirklich die tollen, extravaganten Bücher angeboten bekommen hätte. Ich hatte wirklich sehr viel Glück mit VIER MINUTEN, mit einem tollem Buch, einer tollen Inszenierung, ganz tollen Schauspielern und einem Team, das sehr zusammengehalten und diesen Film wirklich gemeinsam entwickelt hat. Und die Musik natürlich nicht zu vergessen! Letztendlich spielen diese ganzen Faktoren für den Schnitt eine riesengroße Rolle, weil hier alles zusammenkommt. Wenn da irgendwas nicht funktioniert, dann kann das einen Film gleich zusammenfallen lassen.

Kannst du nicht doch einen Film nennen? Für die Tonleute war es zum Beispiel APOCALYPSE NOW. Für die war das ein Quantensprung im Ton. So etwas gibt es für dich nicht?

Ja, also doch. APOCALYPSE NOW ist genau das Beispiel, das mir eben durch den Kopf schoss, als du die Frage gestellt hast. Denn das ist für mich schon ein gigantisch toller Film. Da war es ja so, dass Walter Murch nicht nur den Bildschnitt gemacht hat, sondern auch den Tonschnitt. Das merkt man einfach – diese Einheit in dem Ganzen. Das ist eine unglaubliche Arbeit, die ich wahnsinnig beeindruckend finde. Und Tonschnitt wird immer zu sehr missachtet, dabei ist er so wichtig. Ich versuche eben auch, im Schnitt schon viel mit Ton zu arbeiten, zumindest, um Stimmungen anzudeuten. Ich freue mich dann immer, wenn der Film durch die Tonbearbeitung ist und man noch mal so ein richtiges Erlebnis hat und denkt: Ja, genau, so habe ich mir das gedacht! Oder: Das ist ja noch viel besser geworden!

Ein Satz, was Kino für dich bedeutet? Kino ist ...

Kino ist für mich natürlich ein Großteil meines Lebens, das ist meine Fantasiewelt.

Könntest du dir auch einen anderen Beruf beim Film vorstellen als den, den du hast?

Ich war mal als Schnittassistentin in Italien, und bin jede freie Minute zum Set gegangen, mal gucken, ob mich noch etwas interessiert. Deshalb kann ich deine Frage absolut verneinen. Bis auf Regie. Ich glaube, Regie hat man irgendwie immer im Hinterkopf, wenn man irgendwas beim Film macht, weil man eben auch irgendein Ziel oder eine Vorstellung davon haben muss. Und die führt natürlich immer in Richtung Regie, sonst kann man gar nicht mitarbeiten. Aber sämtliche anderen Berufe wären für mich allein schon vom Arbeitsrhythmus her einfach unmöglich.

Das Gespräch führte Tobias Kniebe.

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Uta Schmidt, geboren 1965 in Marburg, arbeitet ab 1987 nach einem Praktikum in der Kopierwerkstatt der Münchner Geyer Werke als Schnittassistentin bei zahlreichen deutschen und internationalen Koproduktionen, darunter etwa Volker Schlöndorffs HOMO FABER und Hans W. Geissendörfers JUSTIZ. Seit 1994 ist Schmidt als freie Filmeditorin im Film- und Fernsehbereich tätig. Zusätzlich arbeitete sie als Dozentin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Für ihr Arbeit an Chris Kraus hoch gelobtem Psychodrama VIER MINUTEN wird sie 2007 für den Deutschen Filmpreis nominiert und mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet. 

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Uta Schmidt

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